08.01.2021, 14.05 Uhr - und keiner hat etwas gemerkt

claus-juergen

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Was ist am 8.1. ab 14:05 Uhr passiert?


Der Dachverband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber entsoe (European Network of Transmission System Operators for Electricity) hat am 26.01.2021 mit einem 2. update den Ablauf und die Ursachen der Störung im europäischen Stromnetz am 8.1.21 plausibel erklärt.

https://www.entsoe.eu/news/2021/01/...ynchronous-area-on-8-january-2021-2nd-update/

Ausgangspunkt war ein Ausfall in einem kroatischen Umspannwerk. Dies führte dort zu einer Überlastung und automatischen Abschaltung von Stromleitungen. Daraufhin wurde das von Portugal bis Dänemark und von den Niederlanden bis zur Türkei reichende kontinentaleuropäische Stromnetz automatisch in weniger als einer Sekunde in zwei Teilnetze separiert. Ein kleineres südosteuropäisches und ein viel größeres westeuropäisches.

thrid.jpg


Im südosteuropäischen Teilnetz war dann für Sekundenbruchteile die Stromerzeugung um 6,7 Gigawatt zu hoch und im westeuropäischen um 6,7 Gigawatt zu niedrig. Dies führte zu einer Überfrequenz im Südosten und zu einer Unterfrequenz im Westen.

system-separation-figure-2.jpg


In beiden Teilnetzen klaffte dann die normalerweise 50 Herz (HZ) betragende Frequenz für Sekundenbruchteile um bis zu 0,86 Hz auseinander. In beiden Teilnetzen wurde mit vorgeplanten Maßnahmen wie Abschaltung vertraglich festgelegter Großverbraucher in Italien und Frankreich sowie mit Abschaltung von Stromerzeugern in der Türkei wieder die Zielfrequenz von 50 Hz angestrebt. Nach rund vier Minuten waren die Stromfrequenzen beider Teilnetze wieder dicht beieinander, so dass man nach weiteren Netzregelmaßnahmen um 15:07 die Stromnetze wieder synchronisierte und verband.

system-separation-figure-3.png




Der Auslöser war also eine Störung in einer kroatischen Umspannstation. Die Netzbetreiber sprechen hier wie auch bei den Leitungen von Netzmitteln. Die Situation wurde verschärft, wie es in früheren Berichten hieß, weil das stark von Atomstrom abhängige Frankreich, wo zudem unvernünftig viele alte Elektroheizungen betrieben werden, eine angespannte Versorgungslage hatte.

Das Problem entstand nicht im Energiewendeland Deutschland. Laut Zahlen der energy charts des Freiburger Fraunhoferinstituts sah die Stromwirtschaft in Deutschland am 8. Januar um 14:15 so aus (alles in Gigawatt = Mio kW): Bioenergie 4,9 Solar 1,5 Wind 4,2 Wasser 1,4 Pumpspeicher 1,2 Erdgas 16,1 Kohle 27,7 Atom 8,2. Der Verbrauch lag im öffentlichen Netz bei 64,1 und der Export bei 0,8.

Für mich ist es immer wieder erstaunlich, wie das europäische Stromnetz mittlerweile zusammenhängt und eine kleine Ursache eine große Wirkung auf den gesamten Kontinent haben kann. Ein Blackout ganzer Länder oder großer Teile von Staaten ist damit durchaus realistisch.

Wenn wir weiter den Mix aller Erneuerbaren Energien nutzen, konsequent die billig gewordenen Quellen Solar und Windkraft ausbauen, sowie begleitend unser Stromnetz weiter umbauen und ertüchtigen, das Lastmanagement flexibler Stromverbraucher ausbauen und Speicher zubauen (wobei wir heute noch nicht absehen können, welche ökonomisch und ökologisch die besten sein werden), wird unsere Stromversorgung sauberer und sicherer. Zentralisierte Stromsysteme wie in Frankreich sind erheblich anfälliger.

(die nicht aus dem link entnommenen Daten stammen von Raimund Kamm vom Bundesverband Erneuerbare Energien BEE - Landesverband Bayern)

grüsse

jürgen
 

Luppo

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Hi Jürgen,
Gute Info von Dir.
Ich diskutiere den Vorfall in einem anderen Forum seit Wochen. Dort herrschte die einhellige Meinung, dass eine Unregelmäßigkeit in einem rumänischen Kraftwerk zum Ereignis geführt hatte. Jetzt ist wohl klar, dass eine überlastete Kupplung im Umspannwerk Ernestinovo/HR der Auslöser war. Die Netzfrequenz ging um gute 0,25 Hz nach unten und konnte durch die Aufspaltung in zwei Teilnetze und der Abschaltung von italienischen Großverbrauchern innerhalb einer Stunde wieder wieder stabilisiert werden.
 

claus-juergen

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Hi Jürgen,
Gute Info von Dir.
Ich diskutiere den Vorfall in einem anderen Forum seit Wochen...

hallo Michael,

solche Vorfälle schaffen es ja meist nicht in die Medien, die von vielen Menschen aufgenommen werden. Wird solch eine Störung dann doch publik, dann sind gleich wieder die Strommultis da mit ihren gut gefütterten Presseabteilungen und schwafeln etwas davon, daß die erneuerbaren Energien daran schuld sein sollen. ;)

"Laut Zahlen der energy charts des Freiburger Fraunhoferinstituts sah die Stromwirtschaft in Deutschland am 8. Januar um 14:15 so aus (alles in Gigawatt = Mio kW): Bioenergie 4,9, Solar 1,5, Wind 4,2, Wasser 1,4, Pumpspeicher 1,2, Erdgas 16,1, Kohle 27,7, Atom 8,2. Der Verbrauch lag im öffentlichen Netz bei 64,1 und der Export bei 0,8."

Diese Zahlen stimmen. Daraus läßt sich auch entnehmen, daß Solarstrom zu diesem Zeitpunkt in Deutschland eine geringe Rolle spielte. Das ist nachvollziehbar, weil in großen Teilen des Landes Schnee auf den Modulen lag. Erfahrungsgemäß wehte dafür der Wind wie oft im Winter stärker. Zudem haben wir auch an diesem Tag Strom exportiert.

Nachdenklich macht mich immer noch unser westlicher Nachbar Frankreich. Ich habe ja einige Bekannte drüben vor allem im Westen des Landes. Nach wie vor haben dort viele keine Zentralheizung in ihren Häusern eingebaut. Wird es kalt, schaltet man den Elektroofen in Küche, Bad und Wohnzimmer ein. Da glühen dann von einem Tag auf den anderen die Brennstäbe in den alten AKWs. Aber irgendwann wird ja das neue angebliche Super AKW Flamanville 3 fertig. Die Kosten sind zwar leicht von 3,3 Milliarden Euro auf aktuell 19,1 Milliarden Euro gestiegen. Da ist der Berliner Flughafen ein Klacks dagegen. Aber das macht doch nichts. Schließlich waren bis dato die Arbeiter auch knapp 10 Jahre länger beschäftigt. Und das ist es doch was man will. Arbeit für alle. ;)

https://de.wikipedia.org/wiki/Kernkraftwerk_Flamanville

Was meine Bekannten aus der Mayenne und der Normandie von diesem Ewigkeitsbau halten, möchte ich hier nicht ausbreiten. Das würde dann doch zu weit führen.

grüsse

jürgen
 

claus-juergen

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Mir zeigt dieser Vorfall wie verletzlich das europäische Stromnetz ist. Nun kenne ich ein paar Umspannwerke in meiner Heimat. Gesetzt der Fall, eine Gruppe die Böses im Schilde führt macht sich da zeitgleich an nur wenige dieser Einrichtungen. Anders als ein AKW sind die doch gar nicht geschützt. Was geschieht dann?

Von der Cyberkriminalität möchte ich erst gar nicht sprechen. Davon verstehe ich nichts. Allerdings ist mittlerweile ja bekannt, daß es in Osteuropa geschulte und bezahlte "Fachleute" gibt, die wohl in vielerlei Hinsicht versucht haben, die amerikanischen Präsidentenwahlen vor vier Jahren wie auch die Brexit-Abstimmung und die Pseudo-Abstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens zu beeinflussen. Auch das Hungerland Nordkorea hat in der Vergangenheit bewiesen, daß es auf diesem Gebiet durchaus fähig ist, im Ausland Sabotageaktionen ähnlicher Art zu begehen.

Sicherlich ist es irgendwann denkbar, daß der Cyberkrieg auch eines Tages die Energieversorgung Europas stören kann.

grüsse

jürgen
 

Tar

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Frank Henning, Gastautor Focus

Die automatische Öffnung einer Kupplung in einer kroatischen Umspannanlage hat den Beinahe-Blackout in Kontinentaleuropa am 8. Januar ausgelöst. Das hat der Verband der europäischen Netzbetreiber in einem Zwischenbericht am Dienstag mitgeteilt. Der Ausfall eines sogenannten Sammelschienenkupplers in Ernestinovo (Nordostkroatien) zog demnach einen Dominoeffekt nach sich: Er trennte zwei Höchstspannungsleitungen zwischen Kroatien und Ungarn einerseits sowie Bosnien-Herzegowina und Serbien andererseits, was zur Überlastung von Ausweichrouten führte und schließlich zur Abtrennung des südöstlichen Netzgebietes vom restlichen Kontinentaleuropa....
Keine Cyberkriminalität, kein Terror, keine Unterversorgung.
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