Huberlinger36
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Vorgeschichte:
1972 waren wir das 10. Mal für jeweils 6 Wochen auf dem Camping Ca'Savio bei Venedig. Wie bis dato bei uns üblich, von Mitte Mai bis Ende Juni. Immer hatten wir gutes Wetter genossen. 1972 war es anders. Drei Wochen praktisch Dauerregen. Ständig standen
Platz und Hauszelt unter Wasser. Die Stimmung miserabel. Endlich besserte sich das Wetter.
Doch nun kam eine Schneckeninvasion. Im und um das Zelt herum alles voller Schnecken mit und ohne Haus. Regierung und Kinderparlament verkündeten, dass ein Wohnanhänger angeschafft werden muss. Ich, der Zahlmeister, stimmte zu.
Wenige Wochen später war es soweit. Ein nagelneuer viermeter langer Hymer Eriba war erworben.
Er hatte bereits, was damals noch nicht allgemein üblich war, einen seperaten Waschraum.
Als Standort wurde ein Dauercampingplatz in der Gifhorner Heide ausgeguckt. Die Jahresstellplatzmiete betrug 120 DM und musste für 5 Jahre im vorraus gezahlt werden. Der Campingplatzbetreiber brauchte dringend Geld und machte daher dieses Sonderangebot.
Ein echtes Schnäppchen.
1973 hatten wir Lust auf Neues. 10 Jahre immer Italien erschien uns genug. Nun sollte es auf Abenteuerreise nach Jugoslawien gehen. Der Wohnwagen stand beladen vor der Tür. Mittags wollten wir starten. Unsere sieben Jahre alte Tochter brachte vormittags ein gutes Zeugnis von der Schule heim. Zur Belohnung gab es ein Scheinchen, welches sie gleich in Süßigkeiten für die Reise umsetzen wollte. Das Geschäft war nur 100 Meter entfernt. Doch sie kam nicht zurück. Ein Pkw hatte sie auf dem Überweg erwischt und schwer verletzt. Tagelanges Bangen ums Überleben, Wochen im Krankenhaus, endlos lange Nachbehandlungen. Urlaub ade...
1974 ein neuer Anlauf. Am 9. Juli ging es los. Zielort sollte Pag sein. Erfahrene Jugoslawienfahrer hatten uns dazu geraten. Leider mussten wir bereits in den Kasseler Bergen feststellen, dass unser Fiat 125 S als Zugwagen völlig ungeeignet war. Trotz seiner 100 PS war der sonst so spritzige Wagen als Zugpferd eine lahme Krücke. Die sorgfältige Zeitplanung war Makulatur.
Über die Rhön, München und Kufstein kamen wir bei Dauerregen bis zum Pass Thurn.
Gegenüber vom Berghotel Holzer fanden wir einen Standplatz für die Nacht. Am nächsten Morgen immer noch Regen und Nebel bzw. tiefhängende Wolken. Die Fahrt ging weiter über die Felbertauernstrasse, Lienz und das Gailtal zum Dreiländereck. Danach irrten wir in Tarvisio herum, bis wir endlich die kleine, miserabel ausgeschilderte Strasse Richtung Ratece fanden. Ganz offenkundig hatten die Italiener etwas gegen Reisende, die nach Jugoslawien wollten.
Alle Hinweisschilder in dieser Richtung waren unlesbar, verdeckt, verdreckt oder verdreht! Absicht?
Irgendwann war Ratece doch erreicht und die Einreise ins Abenteuerland konnte erfolgen.
Die Grenzkontrolle verlief ohne Probleme, obwohl die Fahrzeuge eingehend durchsucht wurden. Die zahlreich mitgeführten Konserven fanden bei den Zöllnern kein Interesse.
Die Weiterfahrt ging durch Jesenice und Ljubljana nach Postojna. Teilweise gab es schon eine Autobahn und irgendwo mussten wir paar Groschen Maut bezahlen. Viele Erinnerungen an diesen Fahrtabschnitt habe ich nicht mehr. Nur ein Rastplatz mit Imbiss ist uns allen unvergesslich geblieben. Die Toilette war ein gemauertes Häuschen. Mittendrinn eine Art Brunnenschacht voller Jauche. Darüber ein grobmaschiger Gitterrost. Darauf stehend sollte man sein Geschäft verrichten. Hochsommerliche Wärme und dazu Millionen von grünglänzenden Fliegen. Wir verliessen fluchtartig den gastlichen Ort.
In Postojna besichtigten wir die berühmten Höhlen. Danach ging es querbeet nach Rijeka.
Dort war irgendwie der Teufel oder sonst etwas los. An jeder Kreuzung stand uniformierte Herren und zusätzlich Damen in weissen Blusen und schwarzen Röcken. Diese gaben aufgeregte Handzeichen und pfiffen lustig auf Trillerpfeifen herum. Wollten wir geradeaus weiterfahren, wurden wir zum Abbiegen gezwungen. Wollten wir dann mal abbiegen, sollten wir geradeaus fahren. Das Ganze hatte sicher einen Sinn, nur welchen?
Vielleicht war Tito zu Besuch.
Irgendwann war ich so genervt, dass ich eine rote Ampel übersah und weiterfuhr. Ein vielstimmiges Pfeifkonzert war die Folge. Uniformierte hüpften behende auf die Fahrbahn und versperrten die Weiterfahrt. Grimmige Gesichter, unverständliches Stimmengewirr, drohende Gebärden.
Was nun? Anweisung vom Käptn an alle: Wir stellen uns dumm!
Auf alle Fragen gab es nur eine Antwort: Zadar! Das stand nämlich auf den Hinweisschildern, nach denen wir uns auf dem Weg nach Pag richteten. So ging das ein Weilchen. Die an sich belebte Kreuzung war
von uns und unserer Ehrengarde blockiert.
Dann plötzlich von hinten lautes Hupen und Bremsenkreischen. Ein dicker Lastzug war uns fast in den Anhänger gerauscht. Die Uniformierten stoben erst zur Seite und dann nach hinten. Dort großes Pallaver. Wir machten uns in Schleichfahrt vom Acker. Bald die Gewissheit: Keine Verfolger, alles gut!
Nachdem der Abstand zu Rijeka beruhigend groß war, wurde eine längere Pause eingelegt. Die verlief nicht ganz nach Plan. Als ich wieder munter wurde, brach bereits die Dämmerung herein. Nun war guter Rat teuer. Wir wollten Pag auf dem Landweg, also über die Brücke im Süden, erreichen. Von der möglichen Überfahrt per Fähre hatten uns angebliche Kenner dringend abgeraten. Vorgelegte Fotos erinnerten mehr an gefechtsmässige Flussüberquerungen als an friedliche Touristenfähren.
Also wurde beschlossen, auf dem nächsten Campingplatz zu übernachten.
Suchend ging es weiter. Bald wurde es ganz dunkel. Nicht nur am Himmel, sondern überall. Nirgends ein Licht. Nur die paar Fahrzeuge auf der Magistrale, sonst alles absolut finster. Endlich ein Hinweis auf einen Campingplatz. Die Zufahrt ging rechts der Strasse steil nach unten Richtung Meer. Die Scheinwerfer griffen ins Leere, unten nicht der kleinste Lichtschimmer. Die ersten hundert Meter Schotterweg wurden per Pedes erkundet. Ergebnis: Hier kommen wir wahrscheinlich nicht heil hinunter und auf keinen Fall wieder rauf. Also Weiterfahrt!
Stimmung nicht mehr sehr berauschend. Tankanzeige blinkt Alarm: Sprit auf Reserve! Gelegentlich war eine Tankstelle zu sehen. Alle dunkel, also zu! Und so ging es weiter. Die ganze Landschaft absolut dunkel. Neuer Krieg ausgebrochen? Deshalb allgemeine Verdunkelung? Und die Reserveanzeige nervt!
Endlich ein Campingplatz am Strassenrand. Direkt am Zaun ein Wohnwagen. Im offenen Fenster Kerzenlicht. Deutsche Stimmen, sie erschienen wie Engelzungen.
Wir erfuhren, dass schon den ganzen Tag weithin der Strom ausgefallen sei. Auch Wasser gebe es keins. Die dunklen Tankstellen seien trotzdem geöffnet. Sprit würde per Handpumpe ausgeschenkt. Wer ahnt denn sowas?
Der Campingplatz war wegen Überfüllung oder Nachtruhe schon geschlossen. Wenige Kilometer weiter sollte es eine Tankstelle und einen weiteren Campingplatz geben. Erleichtert, aber mit gewisser Skepsis fuhren wir weiter und landeten in Starigrad/Paklenzia.
Die Tankstelle war tatsächlich geöffnet und hatte auch Strom. In der Umgebung war alles stockfinster.
Der Tankwart war ein Ausbund der Freundlichkeit. Wir erhielten nur 20 Liter Sprit. Ist genug, war sein einziger Kommentar.
Gleich nebenan war ein Campingplatz. Alles stockfinster. Ich pirschte mich mit einer Taschenlampe hinein und traf nur einzelne Menschen. Eine Verständigung gelang nicht. Irgendwann erschien aus der Finsternis eine Art Nachtwächter. Der war sehr freundlich und konnte sogar etwas Deutsch und Englisch. Der Platz wäre eigentlich wegen Überfüllung geschlossen, aber für eine Nacht wollte er uns helfen.
Er lotste uns zu einem freien Plätzchen auf einem Weg direkt am Zaun zur Strasse hin. Uns war es egal. Die Hütte stand schief, Lkw donnerten gleich daneben die ganze Nacht hindurch vorbei, wir schliefen trotzdem ganz gut.
Am Morgen wurden wir recht früh von der Sonne bzw. der schon herrschenden Wärme geweckt. Erster Gang zum Waschraum. Einrichtung sehr spartanisch und teilweise demoliert. Kein Wasser! Die Toilettenbecken fast alle gestrichen voll, manche obenauf mit Kringel! Gewaltiger Gestank! Wir erfuhren, dass tagsüber Behälter mit Seewasser aufgestellt wurden. Die waren aber längst geleert.
Nächste Unternehmung: Inspektion des Strandes. Da gab es Steine, Tang, scharfe Muschelschalen und See-Igel. Alles nichts für meine Sandstrand gewöhnten Damen. Stimmungstief! Vater hat Schuld! Blöder Abenteuerurlaub! Natürlich! Wer sonst?
Und dann die Krönung: Uns begegneten plötzlich mehrere nackte Männer!
Igitt! Und die schämten sich nicht einmal, sondern verhielten sich ganz unbefangen.
Wir waren auf einen FKK-Platz geraten. Am Platz befand sich sogar ein FKK-Hotel. Für meine Damen das absolute Sündenbabel!
Als es dann noch im Markt auf der anderen Strassenseite Einkaufprobleme gab (wahrscheinlich weil es kein Wasser und keinen Strom gab) war für meine Schmuckstücke der Ofen aus.
Meine beiden blonden Engel setzten ihre schärfsten Stemmeisengesichter auf und verkündeten: Wir wollen sofort wieder nach Italien!
Argumente, Drohungen, Gebete und Flüche halfen nichts. Ich hatte verloren....
Nie wieder Jugoslawien war die Parole!
Jeglicher Widerstand meinerseits war zwecklos. Ganz Jugoslawien war suspekt geworden. Also angespannt und abgefahren. Es kam, was kommen musste: Glühende Mittagshitze ohne Klimaanlage, nörgelnde Weiblichkeit, und der Fahrer bekam langsam Verständnis für Meuchelmörder.
Dennoch erreichten wir ohne besondere Vorkommnisse Rijeka, wo wir erstaunlich gut durchkamen. Weiter ging es quer durch das Land Richtung Triest. Den Grenzübergang kurz vor Triest erreichten wir nachmittags bei noch immer großer Hitze. Endlos langer Stau auf schattenloser, ansteigender Fahrbahn. Es gab Probleme mit dem Kühlwasser und ich musste notgedrungen zeitweilig die Heizung auf volle Pulle stellen. Nur so lies sich die Kühlwassertemperatur wieder etwas senken. Unerfreuliche Diskussionen mit den Mitfahrerinnen!
Erneute Mordgelüste, wahrscheinlich auf beiden Seiten.
Nach unendlich lang erscheinender Zuckelei erreichten wir eine Vorkontrolle. Mitten auf der Straße saß auf einem Hocker ein sehr dicker Mensch in goldverzierter Uniform. Elegant schwang er einen prächtigen Holzknüppel und sortierte damit die ankommenden Fahrzeuge.
Italiener mussten in die linke, alles andere in die rechte Spur.
Auf der rechten Spur ging es sofort flott weiter und recht schnell über die Grenze. Die Italiener mussten warten und wurden offensichtlich gründlich gefilzt. Warum? Keine Ahnung.
Auf der italienischen Seite das gleiche Spiel, nur umgekehrt. Jugos in langer Warteschlange. Wir wurden von schneidigen Uniformträgern
herausgewunken, überschwenglich als Deutsche begrüßt und unkontrolliert durchgelassen. Ich glaube nicht, dass die uns wirklich besonders gern hatten. Die wollten wohl eher Jugos provizieren.
Letzte Nervenprüfung: Mit dem Gespann durch die Innenstadt von Triest zur Hauptverkehrszeit. Mir gingen viele Dinge durch den Kopf, die ich mir ganz bestimmt nie wieder antun wollte...
Irgendwann am späten Abend erreichten wir gücklich unseren alten Stammplatz Ca'Savio. Ab dem nächsten Morgen hatten wir uns alle wieder ganz lieb. Es wurde ein schöner, aber uns viel zu warmer Urlaub. Wir beschlossen: Nie wieder im Hochsommer in den Süden.
Also ging es die nächsten 10 Jahre in den Norden. Meistens zur Insel Bornholm. Da wären wir wohl noch heute Stammgäste, wenn ich nicht 1983 solo als Spähtrupp nach Jugoslowien gefahren wäre.
Durch Zufall landete ich auf Koversada. Doch das ist eine neue Geschichte,
die unser Touristenleben nachhaltig verändern sollte.
Danke, falls wirklich jemand bis hierher gelesen hat!
Huberlinger36.
PS:
Liebe MODS und sonstige Respektspersonen:
Mir ist die Geschichte aufgrund zufällig gefundener alter Fotos wieder in den Sinn gekommen. Wenn Ihr sie für verfehlt anseht, verschiebt sie wohin Ihr wollt. Meinetwegen auch in den Papierkorb...
1972 waren wir das 10. Mal für jeweils 6 Wochen auf dem Camping Ca'Savio bei Venedig. Wie bis dato bei uns üblich, von Mitte Mai bis Ende Juni. Immer hatten wir gutes Wetter genossen. 1972 war es anders. Drei Wochen praktisch Dauerregen. Ständig standen
Platz und Hauszelt unter Wasser. Die Stimmung miserabel. Endlich besserte sich das Wetter.
Doch nun kam eine Schneckeninvasion. Im und um das Zelt herum alles voller Schnecken mit und ohne Haus. Regierung und Kinderparlament verkündeten, dass ein Wohnanhänger angeschafft werden muss. Ich, der Zahlmeister, stimmte zu.
Wenige Wochen später war es soweit. Ein nagelneuer viermeter langer Hymer Eriba war erworben.
Er hatte bereits, was damals noch nicht allgemein üblich war, einen seperaten Waschraum.
Als Standort wurde ein Dauercampingplatz in der Gifhorner Heide ausgeguckt. Die Jahresstellplatzmiete betrug 120 DM und musste für 5 Jahre im vorraus gezahlt werden. Der Campingplatzbetreiber brauchte dringend Geld und machte daher dieses Sonderangebot.
Ein echtes Schnäppchen.
1973 hatten wir Lust auf Neues. 10 Jahre immer Italien erschien uns genug. Nun sollte es auf Abenteuerreise nach Jugoslawien gehen. Der Wohnwagen stand beladen vor der Tür. Mittags wollten wir starten. Unsere sieben Jahre alte Tochter brachte vormittags ein gutes Zeugnis von der Schule heim. Zur Belohnung gab es ein Scheinchen, welches sie gleich in Süßigkeiten für die Reise umsetzen wollte. Das Geschäft war nur 100 Meter entfernt. Doch sie kam nicht zurück. Ein Pkw hatte sie auf dem Überweg erwischt und schwer verletzt. Tagelanges Bangen ums Überleben, Wochen im Krankenhaus, endlos lange Nachbehandlungen. Urlaub ade...
1974 ein neuer Anlauf. Am 9. Juli ging es los. Zielort sollte Pag sein. Erfahrene Jugoslawienfahrer hatten uns dazu geraten. Leider mussten wir bereits in den Kasseler Bergen feststellen, dass unser Fiat 125 S als Zugwagen völlig ungeeignet war. Trotz seiner 100 PS war der sonst so spritzige Wagen als Zugpferd eine lahme Krücke. Die sorgfältige Zeitplanung war Makulatur.
Über die Rhön, München und Kufstein kamen wir bei Dauerregen bis zum Pass Thurn.
Gegenüber vom Berghotel Holzer fanden wir einen Standplatz für die Nacht. Am nächsten Morgen immer noch Regen und Nebel bzw. tiefhängende Wolken. Die Fahrt ging weiter über die Felbertauernstrasse, Lienz und das Gailtal zum Dreiländereck. Danach irrten wir in Tarvisio herum, bis wir endlich die kleine, miserabel ausgeschilderte Strasse Richtung Ratece fanden. Ganz offenkundig hatten die Italiener etwas gegen Reisende, die nach Jugoslawien wollten.
Alle Hinweisschilder in dieser Richtung waren unlesbar, verdeckt, verdreckt oder verdreht! Absicht?
Irgendwann war Ratece doch erreicht und die Einreise ins Abenteuerland konnte erfolgen.
Die Grenzkontrolle verlief ohne Probleme, obwohl die Fahrzeuge eingehend durchsucht wurden. Die zahlreich mitgeführten Konserven fanden bei den Zöllnern kein Interesse.
Die Weiterfahrt ging durch Jesenice und Ljubljana nach Postojna. Teilweise gab es schon eine Autobahn und irgendwo mussten wir paar Groschen Maut bezahlen. Viele Erinnerungen an diesen Fahrtabschnitt habe ich nicht mehr. Nur ein Rastplatz mit Imbiss ist uns allen unvergesslich geblieben. Die Toilette war ein gemauertes Häuschen. Mittendrinn eine Art Brunnenschacht voller Jauche. Darüber ein grobmaschiger Gitterrost. Darauf stehend sollte man sein Geschäft verrichten. Hochsommerliche Wärme und dazu Millionen von grünglänzenden Fliegen. Wir verliessen fluchtartig den gastlichen Ort.
In Postojna besichtigten wir die berühmten Höhlen. Danach ging es querbeet nach Rijeka.
Dort war irgendwie der Teufel oder sonst etwas los. An jeder Kreuzung stand uniformierte Herren und zusätzlich Damen in weissen Blusen und schwarzen Röcken. Diese gaben aufgeregte Handzeichen und pfiffen lustig auf Trillerpfeifen herum. Wollten wir geradeaus weiterfahren, wurden wir zum Abbiegen gezwungen. Wollten wir dann mal abbiegen, sollten wir geradeaus fahren. Das Ganze hatte sicher einen Sinn, nur welchen?
Vielleicht war Tito zu Besuch.
Irgendwann war ich so genervt, dass ich eine rote Ampel übersah und weiterfuhr. Ein vielstimmiges Pfeifkonzert war die Folge. Uniformierte hüpften behende auf die Fahrbahn und versperrten die Weiterfahrt. Grimmige Gesichter, unverständliches Stimmengewirr, drohende Gebärden.
Was nun? Anweisung vom Käptn an alle: Wir stellen uns dumm!
Auf alle Fragen gab es nur eine Antwort: Zadar! Das stand nämlich auf den Hinweisschildern, nach denen wir uns auf dem Weg nach Pag richteten. So ging das ein Weilchen. Die an sich belebte Kreuzung war
von uns und unserer Ehrengarde blockiert.
Dann plötzlich von hinten lautes Hupen und Bremsenkreischen. Ein dicker Lastzug war uns fast in den Anhänger gerauscht. Die Uniformierten stoben erst zur Seite und dann nach hinten. Dort großes Pallaver. Wir machten uns in Schleichfahrt vom Acker. Bald die Gewissheit: Keine Verfolger, alles gut!
Nachdem der Abstand zu Rijeka beruhigend groß war, wurde eine längere Pause eingelegt. Die verlief nicht ganz nach Plan. Als ich wieder munter wurde, brach bereits die Dämmerung herein. Nun war guter Rat teuer. Wir wollten Pag auf dem Landweg, also über die Brücke im Süden, erreichen. Von der möglichen Überfahrt per Fähre hatten uns angebliche Kenner dringend abgeraten. Vorgelegte Fotos erinnerten mehr an gefechtsmässige Flussüberquerungen als an friedliche Touristenfähren.
Also wurde beschlossen, auf dem nächsten Campingplatz zu übernachten.
Suchend ging es weiter. Bald wurde es ganz dunkel. Nicht nur am Himmel, sondern überall. Nirgends ein Licht. Nur die paar Fahrzeuge auf der Magistrale, sonst alles absolut finster. Endlich ein Hinweis auf einen Campingplatz. Die Zufahrt ging rechts der Strasse steil nach unten Richtung Meer. Die Scheinwerfer griffen ins Leere, unten nicht der kleinste Lichtschimmer. Die ersten hundert Meter Schotterweg wurden per Pedes erkundet. Ergebnis: Hier kommen wir wahrscheinlich nicht heil hinunter und auf keinen Fall wieder rauf. Also Weiterfahrt!
Stimmung nicht mehr sehr berauschend. Tankanzeige blinkt Alarm: Sprit auf Reserve! Gelegentlich war eine Tankstelle zu sehen. Alle dunkel, also zu! Und so ging es weiter. Die ganze Landschaft absolut dunkel. Neuer Krieg ausgebrochen? Deshalb allgemeine Verdunkelung? Und die Reserveanzeige nervt!
Endlich ein Campingplatz am Strassenrand. Direkt am Zaun ein Wohnwagen. Im offenen Fenster Kerzenlicht. Deutsche Stimmen, sie erschienen wie Engelzungen.
Wir erfuhren, dass schon den ganzen Tag weithin der Strom ausgefallen sei. Auch Wasser gebe es keins. Die dunklen Tankstellen seien trotzdem geöffnet. Sprit würde per Handpumpe ausgeschenkt. Wer ahnt denn sowas?
Der Campingplatz war wegen Überfüllung oder Nachtruhe schon geschlossen. Wenige Kilometer weiter sollte es eine Tankstelle und einen weiteren Campingplatz geben. Erleichtert, aber mit gewisser Skepsis fuhren wir weiter und landeten in Starigrad/Paklenzia.
Die Tankstelle war tatsächlich geöffnet und hatte auch Strom. In der Umgebung war alles stockfinster.
Der Tankwart war ein Ausbund der Freundlichkeit. Wir erhielten nur 20 Liter Sprit. Ist genug, war sein einziger Kommentar.
Gleich nebenan war ein Campingplatz. Alles stockfinster. Ich pirschte mich mit einer Taschenlampe hinein und traf nur einzelne Menschen. Eine Verständigung gelang nicht. Irgendwann erschien aus der Finsternis eine Art Nachtwächter. Der war sehr freundlich und konnte sogar etwas Deutsch und Englisch. Der Platz wäre eigentlich wegen Überfüllung geschlossen, aber für eine Nacht wollte er uns helfen.
Er lotste uns zu einem freien Plätzchen auf einem Weg direkt am Zaun zur Strasse hin. Uns war es egal. Die Hütte stand schief, Lkw donnerten gleich daneben die ganze Nacht hindurch vorbei, wir schliefen trotzdem ganz gut.
Am Morgen wurden wir recht früh von der Sonne bzw. der schon herrschenden Wärme geweckt. Erster Gang zum Waschraum. Einrichtung sehr spartanisch und teilweise demoliert. Kein Wasser! Die Toilettenbecken fast alle gestrichen voll, manche obenauf mit Kringel! Gewaltiger Gestank! Wir erfuhren, dass tagsüber Behälter mit Seewasser aufgestellt wurden. Die waren aber längst geleert.
Nächste Unternehmung: Inspektion des Strandes. Da gab es Steine, Tang, scharfe Muschelschalen und See-Igel. Alles nichts für meine Sandstrand gewöhnten Damen. Stimmungstief! Vater hat Schuld! Blöder Abenteuerurlaub! Natürlich! Wer sonst?
Und dann die Krönung: Uns begegneten plötzlich mehrere nackte Männer!
Igitt! Und die schämten sich nicht einmal, sondern verhielten sich ganz unbefangen.
Wir waren auf einen FKK-Platz geraten. Am Platz befand sich sogar ein FKK-Hotel. Für meine Damen das absolute Sündenbabel!
Als es dann noch im Markt auf der anderen Strassenseite Einkaufprobleme gab (wahrscheinlich weil es kein Wasser und keinen Strom gab) war für meine Schmuckstücke der Ofen aus.
Meine beiden blonden Engel setzten ihre schärfsten Stemmeisengesichter auf und verkündeten: Wir wollen sofort wieder nach Italien!
Argumente, Drohungen, Gebete und Flüche halfen nichts. Ich hatte verloren....
Nie wieder Jugoslawien war die Parole!
Jeglicher Widerstand meinerseits war zwecklos. Ganz Jugoslawien war suspekt geworden. Also angespannt und abgefahren. Es kam, was kommen musste: Glühende Mittagshitze ohne Klimaanlage, nörgelnde Weiblichkeit, und der Fahrer bekam langsam Verständnis für Meuchelmörder.
Dennoch erreichten wir ohne besondere Vorkommnisse Rijeka, wo wir erstaunlich gut durchkamen. Weiter ging es quer durch das Land Richtung Triest. Den Grenzübergang kurz vor Triest erreichten wir nachmittags bei noch immer großer Hitze. Endlos langer Stau auf schattenloser, ansteigender Fahrbahn. Es gab Probleme mit dem Kühlwasser und ich musste notgedrungen zeitweilig die Heizung auf volle Pulle stellen. Nur so lies sich die Kühlwassertemperatur wieder etwas senken. Unerfreuliche Diskussionen mit den Mitfahrerinnen!
Erneute Mordgelüste, wahrscheinlich auf beiden Seiten.
Nach unendlich lang erscheinender Zuckelei erreichten wir eine Vorkontrolle. Mitten auf der Straße saß auf einem Hocker ein sehr dicker Mensch in goldverzierter Uniform. Elegant schwang er einen prächtigen Holzknüppel und sortierte damit die ankommenden Fahrzeuge.
Italiener mussten in die linke, alles andere in die rechte Spur.
Auf der rechten Spur ging es sofort flott weiter und recht schnell über die Grenze. Die Italiener mussten warten und wurden offensichtlich gründlich gefilzt. Warum? Keine Ahnung.
Auf der italienischen Seite das gleiche Spiel, nur umgekehrt. Jugos in langer Warteschlange. Wir wurden von schneidigen Uniformträgern
herausgewunken, überschwenglich als Deutsche begrüßt und unkontrolliert durchgelassen. Ich glaube nicht, dass die uns wirklich besonders gern hatten. Die wollten wohl eher Jugos provizieren.
Letzte Nervenprüfung: Mit dem Gespann durch die Innenstadt von Triest zur Hauptverkehrszeit. Mir gingen viele Dinge durch den Kopf, die ich mir ganz bestimmt nie wieder antun wollte...
Irgendwann am späten Abend erreichten wir gücklich unseren alten Stammplatz Ca'Savio. Ab dem nächsten Morgen hatten wir uns alle wieder ganz lieb. Es wurde ein schöner, aber uns viel zu warmer Urlaub. Wir beschlossen: Nie wieder im Hochsommer in den Süden.
Also ging es die nächsten 10 Jahre in den Norden. Meistens zur Insel Bornholm. Da wären wir wohl noch heute Stammgäste, wenn ich nicht 1983 solo als Spähtrupp nach Jugoslowien gefahren wäre.
Durch Zufall landete ich auf Koversada. Doch das ist eine neue Geschichte,
die unser Touristenleben nachhaltig verändern sollte.
Danke, falls wirklich jemand bis hierher gelesen hat!
Huberlinger36.
PS:
Liebe MODS und sonstige Respektspersonen:
Mir ist die Geschichte aufgrund zufällig gefundener alter Fotos wieder in den Sinn gekommen. Wenn Ihr sie für verfehlt anseht, verschiebt sie wohin Ihr wollt. Meinetwegen auch in den Papierkorb...