da Alexa anscheinend verhindert ist, hier der Beitrag von Hamlet
13.Dezember
Ein Abwasch mit dem Weihnachtsmann
von Hartmut W.H. Köhler
Das Einkaufszentrum platzte fast aus allen Nähten.
Weihnachtszeit. Besinnliche Zeit. Davon war Nichts zu entdecken. Im Gegenteil. Teenies rasten von einem Modeshop in den anderen, wenn sie nicht gerade im Technik-Markt die neuesten Games und Konsolen ausprobierten. Omas tupften sich mit rüschenbesetzten Stofftaschentüchern die Stirn trocken, wobei sie für den Schwiegersohn nach neuen Krawatten suchten oder die Sonderangebote an Socken verglichen. Vor der Schaufensterscheibe des großen Spielwarenladens zerrten Kinder mit der einen Hand ihren Eltern die Arme aus dem Leib, während die andere Hand vor einem Spielgerät, welches hinter dem Glas geschützt stand, förmlich eine waagerechte Windhose in die Luft wirbelte.
Luft.
Konrad Gras hasste diese Luft in den Malls, seitdem es diese Duftmasche in den Klimaanlagen gab. Im Sommer ließ man Seeluftaromen einfließen, im Frühjahr Blütendüfte und nun, in der Adventzeit, roch es nach Zimt und gebrannten Mandeln, statt nach einfacher und sauberer Luft.
In der kleinen Butze hinter der Bühne hatte Konrad sich deshalb zwei Ventilatoren aufgestellt. Sie kämpften gegen diese unsichtbaren Duftwolken an. Mit Erfolg, wie es schien.
Im Spiegel des Schminktisches sah er sich noch einmal an, prüfte das Rouge auf Wangen und Nase, bevor er den weißen Bart anklebte. Dann setzte er noch seine Mütze auf und fertig war der Weihnachtsmann.
Seit vier Jahren musste er den dicken roten Mann schon nicht mehr geben, denn vor vier Jahren hatte er die ersten Mini-Jobber einstellen können. Damals brummte der Laden und die Arge schickte so viele Männer, dass er sie sich aussuchen und die Gagen zu seinen Gunsten verhandeln konnte. Damals war das Adventsgeschäft ein Bombenerfolg und blieb es auch. Und im Zuge dessen stiegen auch seine anderen Eventbuchungen an. Egal ob einheimische Bräuche, oder importierte. Die Menschen lechzten danach unterhalten zu werden. Und Konrad hatte alles im Katalog: Von Märchenprinzessinnen bis zum Froschkönig, vom Sommermädchen in Tracht bis zum Halloweenkürbis und vom Plüschmonster bis zum Weihnachtsmann. Immer steckten Arge-Vermittelte oder Studenten in den Kostümen. Nur nicht an diesem Weihnachtsfest. Die Grippe, oder so was ähnliches, grassierte und selbst der alte Wegner, ein 20-Jahre-Langzeit-Student, der sonst immer verlässlich war, hatte sich krank abgemeldet. Daher musste er, der Chef, nun selber ran.
Es war Zeit! Konrad schnappte sich den alten Jutebeutel und trat nach vorne auf die Bühne. Der Fotoapparat mit ferngesteuertem Selbstauslöser und angeschlossenem Drucker stand parat und Konrad schaltete ihn an.
Vor der roten Absperrkordel hatte sich schon eine kleine Traube aus Müttern und Kindern gebildet. Jetzt ging ein leises Ahh durch die Versammlung und irgendwo mittendrin fing plötzlich ein Kind an zu weinen.
Konrad legte den Beutel vor den roten Sessel und drehte sich dann zu den Wartenden. Er hob seine Hände, die natürlich in weißen Handschuhen steckten, und erbat sich ein wenig Ruhe. Dann richtete er seine Blicke und Worte an die Mütter.
„Meine Damen“, sagte er mit sonorer Stimme. „Wir haben für jedes Kind ungefähr vier Minuten eingeplant und gegen 20 Uhr, also zum Ladenschluss, werden wir die Kordel wieder einhaken und meinen Auftritt beenden. Es ist also Zeit für ein kleines Gespräch mit den Sprösslingen und ein Foto.“ Er rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. „Den Obolus können Sie passend in meine Hände geben und wenn sie gehen liegt ein Fotoausdruck dort hinten für sie bereit.“
Er sah viele Mütter nicken und wollte gerade an die Kordel machen, als er eine Jungenstimme hörte.
„Warum sagt er wir? Er ist doch ganz alleine. Und was ist dieser Obelis?“
„Psst, Timmi“, war die Antwort.
Konrad suchte diesen Timmi, während er das erste Mutter-Kind-Paar auf die Bühne trat, doch er konnte ihn nicht identifizieren.
Die Zeit der Wünsche und Gedichte konnte nun beginnen. Gegen halb Acht hatte Konrad viele schräge Gedichte gehört, einige gute, ein paar frei erfundene und mindestens zweidutzendmal das Oh-Tannebaum-Lied. Elf Miriams, acht Kais, zwei Lisa Maries und eine Constanzia hatte er gezählt, die anderen Namen, wie Thomas, Stefan, Marie, Lisa ignorierte er in der Statistik.
Kurz vor Acht kam dann ein Junge an, der sich partout nicht auf seinen Schoß setzen wollte. Er blieb vor Sessel und Weihnachtsmann stehen, hielt die Hände hinterm Rücken verborgen und wippte auf den Zehenspitzen. Dabei betrachtete er die Ausrüstung der Bühne ganz genau.
„Und wer bist du?“, fragte Konrad.
„Timmi!“
Konrad nickte und ihm war sofort klar, dass dieses Gespräch schwierig werden würde. Timmi! Timmi von vorhin! Konrad nahm sich vor, dieses Treffen schnell zu beenden und hatte dabei noch die Fragen vom Anfang der Vorstellungen im Kopf: Warum sagt er wir? Er ist doch ganz alleine. Und was ist dieser Obelis?. Also holte er Luft, doch Timmi kam ihm zuvor.
„Mein Papa sagt immer, dass ich furchtbar neunmalklug bin. Einmal hat er auch Klugschieter zu mir gesagt.“
Timmis Mutter, die, wie alle anderen Mütter vor ihr, gleich hinter der Kordel stehen geblieben war, bekam rote Wangen, denn Timmis Stimme war durch Mikrofon und Lautsprecher deutlich zu verstehen.
„Und du möchtest, dass dein Papa das nicht mehr zu dir sagt? Wünschst du dir das?“
„Nöö“, schüttelte Timmi den Kopf. „Ich wollt dir nur sagen, dass er das immer sagt.“
„Ja, aber was…“
Timmi unterbrach: „Bist du reich, Weihnachtsmann?“
„Äh, nein mein Junge. Der …“
„Warum kannst du dann so viele Geschenke machen, wenn du nicht reich bist?“
„Ich, äh“, rang Konrad nach einer Antwort.
Timmi streckte seinen Kopf vor und zwinkerte.
„Willste bloß nicht sagen, dass du reich bist?“
„Genau“, seufzte Konrad. „Aber was ist denn jetzt dein Wunsch?“
„Papa hat einen Wunsch.“
„Ich erfülle aber nur Kinderwünsche, Timmi.“
„Is’ ja auch ein Papawunsch für Kinder.“
„Und wie lautet dieser Wunsch vom Papa?“
„Kennst du Istjen?“
Konrad musste den Kopf schütteln.
„Da machen wir immer Urlaub. In Istjen, bei Pulla. Da is so eine alte Römerburg. Kennste?“
Wieder verneinte Konrad.
„Ohh“, machte Timmi enttäuscht. „Kennt doch jeder! Aber da in Istjen da sind Kinder in einem Haus. Die leben nicht mit ihren Mamas und Papas dort. Und bekommen auch keine Geschenke von den Mamas und Papas. Damit die nicht traurig sind, schenken Papa und andere Männer und Frauen manchmal was für die Kinder da.“
„Dann ist dein Papa ein guter Mensch…“
„Ja“, unterbrach Timmi wieder. „Und er hat neulich gesagt, dass er sich wünschen würde, dass sich noch viel mehr Menschen um die Jungen und Mädchen da in Istjen kümmern müssten.“ Der Kleine machte eine kleine Pause, dann fragte er leise: „Geht das? Kannst du das machen? Das die Anderen sich auch kümmern?“
Konrad sah den Jungen mit großen Augen an, lehnte sich langsam in seinem Sessel zurück und sog die Luft tief durch die Nase ein. Er dachte einen Augenblick über eine glaubwürdige Aussage nach und beugte sich dann wieder vor.
„Da kann ich leider nichts machen, mein Kind.“
Timmi legte den Kopf schief und blickte zu der Kamera, dann zurück auf Konrad.
„Ich weiß jetzt was ein Obelis ist. Das ist das Geld, dass dir die Mamas für ein Bild geben.“
Jetzt weiteten sich Konrads Augen noch mehr.
„Bei meinem Papa bezahlt Mama nicht für Bilder von mir. Die druckt Papa immer ohne Obelis aus.“
Konrad verstand nur Bahnhof, denn in dem Moment als Timmi das Thema gewechselt hatte, hörte er nur noch halb hin. Doch plötzlich horchte er wieder auf.
Obelis … Kinder … schenken.
Konrad räusperte sich und bat: „Kannst du deine letzten Worte noch einmal wiederholen, Kleiner? Ich habe sie nicht ganz verstanden. Der Weihnachtsmann ist schon alt.“
Timmi trat einen kleinen Schritt vor und somit näher an das Mikrofon.
„Kannst du deinen Obelis denn nicht den Kindern in Istjen schenken?“
„Ich? Äh…“
Konrad sah auf und sein Blick wurde von denen der Mütter und Väter die noch hinter der roten Kordel warteten erwidert. Und alle sahen ihn erwartungsvoll an.
„Ich, äh, ich kann das nicht, denn ich muss damit die anderen Wünsche erfüllen“, log Konrad und erntete dafür sofort ein empörtes Raunen aus der Elternschar.
Timmi ließ den Kopf hängen.
„Aber das können doch die Mamas und Papas machen. Wie bei Geburtstag.“
„Das geht …“, wollte Konrad erklären und verschluckte das Wort nicht, denn er sah wie sich vereinzelte Eltern mit ihren Kindern aus der Warteschlange lösten und kopfschüttelnd gingen. „Das geht natürlich auch!“
Konrad setzte ein breites Lächeln auf und erhob sich.
„Die heutigen Einnahmen für die Bilder spenden wir natürlich diesem guten Zweck!“
Die eben noch empörten Eltern sendeten nun ein Lächeln. Konrad wusste, dass er mit diesem Satz die Situation gerettet hatte, als an seiner Hose gezupft wurde.
Timmi sah zu ihm auf, die Hand noch an dem roten Stoff.
„Du bist doch morgen auch hier? Und gestern?“
Konrad versprach also die Einnahmen der letzten Tage zu spenden.
Der kleine Timmi sagte brav danke, gab Konrad einen Zettel mit einer Adresse in Kroatien, klaubte sich sein Photo aus dem Drucker und verschwand dann an Mamas Hand im Trubel des Einkaufzentrums.
Nachdem Maria Jennings die restlichen Einkäufe erledigt hatte, wollte sie mit Timmi zum Auto gehen. Auf dem offenen Parkdeck trafen sie auf Konrad Gras, der dort gerade eine Zigarette rauchte. Als er Timmi entdeckte, schob er sich schnell den künstlichen Bart zurecht.
Maria Jennings blieb stehen.
„Ich möchte mich für meinen Sohn entschuldigen“, sagte sie. „Er ist manchmal…“
Konrad hob die Hand.
„Schon gut. Timmi hat ja Recht.“ Dann beugte er sich zu dem Jungen herunter. „Weißt du was Konkurrenten sind?“
Timmi schüttelte den Kopf.
„Nun, Konkurrenten sind so was wie Freunde. Einer dieser Freunde ist Weihnachtsmann im Ost-Einkaufszentrum. Kennst du das?“
Nun nickte Timme. „Da will Papa morgen mit mir hin, um sich eine neue Musikanlage zu kaufen.“
„Gut“, freute sich Konrad. „Dann gehe doch Morgen bei meinem Konkurrenten vorbei, also bei meinem Freund, und erzähle ihm, was du mir heute erzählt hast.“
Begeistert nickte Timmi und hüpfte auf einem Bein.
„Auja!“
Als Konrad sich wieder aufrichtete und Maria Jennings etwas sagen wollte, zwinkerte er nur grinsend.
„Eine Hand wäscht die andere.“
Monika und Hartmut ( Hamlet )