Tja, ich habe eine kleine Geschichte geschrieben. Es würde mich freuen, wenn der Eine oder Andere etwas damit anfangen kann und die Geschichte ein wenig auf die Weihnachtszeit einzustimmen vermag.
Ich wünsche allen lieben Forumsmitgliedern eine gesegnete Adventszeit und ein frohes Fest!
Eine kleine Weihnachtsgeschichte
Kapitel 1 - Wünsche
Die dicken Regentropfen schienen kurz zu zögern, liefen dann jedoch langsam an der Scheibe hinab, während Fabian am Wohnzimmerfenster dem hektischen Treiben auf dem Marktplatz zuschaute. Vor ein paar Tagen hatte der Weihnachtsmarkt eröffnet, und trotz des Regens war er gut besucht. Bunte Lichter und Weihnachtssterne, dampfende Imbissbuden und zufriedene Gesichter, Karussells und Musik, Nüsse, Engel, Lebkuchen und Weihnachtspyramiden – all das bestaunte Fabian, und eine dünne Träne lief an seiner Wange herab. Jeder schien noch irgendeine Besorgung machen zu müssen, hatte auf dem Markt Süßigkeiten für die Kinder oder in den Geschäften in der Innenstadt ein Geschenk gekauft und kam nun mit vollgepackten Armen zurück. Fabians Mutter Roswitha saß am Wohnzimmertisch und strickte. Zwei rechts, zwei links, eine fallen lassen. Mit einer Engelsgeduld und unbewegter Miene ging sie ihrer Arbeit nach. Die weiße Wolle hing bis auf den Teppichboden. So nach und nach kamen bereits einige Finger zum Vorschein. Wie es aussah, würde es bald neue Wollhandschuhe geben. Roswitha schien von dem Treiben in der Stadt nichts mitzubekommen.
Wie gern würde Fabian ebenfalls jetzt dort unten sein und mit seiner Mutter gebrannte Mandeln oder einen Bratapfel essen. Er hatte sich so auf Weihnachten gefreut. Dieses Jahr war er eingeschult worden, und viele seiner Klassenkameraden oder –kameradinnen hatten von zuhause erzählt und schwärmten von ihren zu erwartenden Geschenken. Da war Jonas, dessen Vater bei der Lufthansa arbeitete. Der Vater war selten zuhause, doch was Jonas sich wünschte, bekam er in der Regel auch. Dieses Jahr hatte er sich ein Smartphone gewünscht. Rainer, Fabians Tischnachbar, bekam ein teures Mountainbike geschenkt und Stephan, dieser Spinner mit dem Stoppelhaarschnitt, den keiner so richtig leiden konnte, sogar einen großen Fernseher. Fabian ging es gar nicht mal so um ein großes Geschenk, obwohl er schon gerne eine Playstation gehabt hätte, aber er wäre auch mit weniger zufrieden. Seine Mutter hatte nun einmal nicht viel Geld, da sie als Frisörin nicht besonders gut bezahlt wurde, und das verstand Fabian auch. Sein Vater hatte sie kurz nach seiner Geburt im Stich gelassen und war mit einer Anderen durchgebrannt. Eine kleine Überraschung würde Fabian ebenfalls freuen oder wenn sie einfach mal gemütlich auf den Weihnachtsmarkt gehen könnten, er Karussell fahren könnte oder eine leckere Bratwurst essen. Doch seine Mutter hatte ihm mehrfach erklärt, dass das einfach nicht möglich sei.
Roswitha fühlte sich miserabel. Der Aufstockungsbetrag zu ihrem Lohn war zwar vor einigen Tagen vom Amt gekommen, doch reichte das Geld einfach hinten und vorne nicht. Sie hatte sich etwas von Heike, ihrer Freundin, geliehen, damit sie für sich und Fabian über die Feiertage wenigstens etwas Anständiges zu essen kochen konnte. Sie hatte sich überlegt, ihrem Sohn vielleicht etwas zu basteln, denn ein Geschenk musste einfach sein. Aber was sollte sie machen? Auch fehlte es ihr an Materialien. Rüdiger, ein befreundeter Schreiner, konnte vielleicht aus Holz ein paar Rennwagen anfertigen. Fabian liebte Rennwagen. Rüdiger wollte ihr morgen Bescheid geben. Zusätzliche Ausgaben waren einfach nicht drin. Es machte sie traurig, Fabian auf den Weihnachtsmarkt schauen zu sehen, denn sie wusste, wie gern er dort hinwollte. Doch was sollten sie dort? Sie wäre nicht in der Lage gewesen, etwas auszugeben, und wenn sie erst einmal dort wären, wäre der Wunsch, etwas zu kaufen, nur umso größer. Thomas, ihr Ex-Mann, hatte sie einfach sitzen lassen, und niemand konnte nachvollziehen, wohin er gezogen war. Deswegen bekam Roswitha leider auch keinen Unterhalt. Das Amt hatte vor einiger Zeit mal einige Beträge überwiesen und wollte es sich später von Thomas zurückholen, doch irgendwann waren die Zahlungen ausgeblieben. Roswitha liebte ihren Sohn und hasste sich für die Situation, in der sie war, doch konnte momentan nichts daran ändern. Wenigstens ein paar Handschuhe wollte sie ihm stricken, denn er besaß keine. Um 8 Uhr schickte sie ihren Sohn zu Bett und strickte im Kerzenlicht, bis ihr die Augen zufielen.
Kapitel 2 – Die Tage vergehen
Es war früher Morgen. Der Regen draußen wollte einfach nicht nachlassen und prasselte unerbittlich gegen die Scheiben. Tag für Tag sah man das gleiche Bild; es war nasskalt und ungemütlich. Fabians Mutter hatte schon oft erwähnt, dass es in ihren Kindertagen zu Weihnachten draußen stets weiß war. Jeden Winter hätte Schnee gelegen, und sie wäre mit ihren Freunden Schlittschuh und Schlitten gefahren. Fabian konnte sich das gar nicht recht vorstellen. Das würde ihm sicher auch gefallen, doch hier in der Gegend schneite es nie. Klar, er hatte es schon öfters gesehen, doch liegen geblieben war nie etwas.
Als er aus der Haustür verschwunden war, um zur Bushaltestelle zu gehen, arbeitete es in Roswithas Kopf. Was konnte sie nur tun? Wenigstens um ein Geschenk würde sie sich nun kümmern. Es war 7:30 Uhr, da konnte sie Rüdiger in seinem Laden sicher schon erreichen. Sie selbst musste heute erst später an die Arbeit. Sie wählte die Nummer.
>>Rüdiger? Hallo, ich bin’s, Rosi!<<
>>Hi Rosi, da hast Du aber Glück, dass Du mich schon erreichst. Ich bin nämlich gerade erst gekommen.<<
>>Du, wir hatten doch über die Holzrennwagen gesprochen. Kannst Du das für mich machen? Klappt das?<<
>>Oh Gott. Ich habe in den letzten Tagen so viele Aufträge ins Haus bekommen; ich weiß gar nicht, wo mir der Kopf steht.<<
>>Kannst Du das nicht mir zuliebe irgendwo dazwischenschieben?<<
>>So leid es mir tut, und so gern ich Dir auch helfen würde, ich fürchte nein.<<
>>Rüdiger, ich habe sonst nichts für Fabian. Was soll ich denn tun? Lass mich bitte nicht hängen!<<
>>Rosi, bitte sei mir nicht böse, aber ich schaffe die Arbeit im Moment so schon nicht. Ich habe einfach keine Wahl. Du weißt, wie es um mein Geschäft steht. Da haben wir schon drüber gesprochen. Meine einzige Chance ist das diesjährige Weihnachtsgeschäft, und da muss ich ranklotzen, was das Zeug hält, sonst bin ich bald pleite.<<
Enttäuscht stellte Roswitha das schnurlose Telefon in die Ladestation. Sie war niedergeschlagen. Zwar würde sie bald die Winterhandschuhe für Fabian fertig haben, doch sonst hatte sie nichts.
Voller Sorge ging sie zur Arbeit. Freundlich wie immer bediente sie die Kunden, denn die konnten schließlich nichts für ihre Misere. Hier eine Dauerwelle für eine Seniorin, dort ein moderner Teenagerschnitt, Spitzen schneiden bei einer Stammkundin mit Haaren bis zur Kniekehle, blonde Strähnen bei einer Brünetten – sie mochte ihre Arbeit, doch leider warf diese nicht genügend Einkommen ab.
Und so vergingen langsam die Tage bis zum Heiligen Abend. Nasse Regentage wechselten mit düsteren Tagen voller Nebel – gemütlich hatte man es nur mit einer Decke auf der Wohnzimmercouch. Sie hatten mal wieder eventuellen Schneefall für die nächsten Tage angekündigt, aber nur in den Höhenlagen. Das übliche Spiel. Für den Heiligen Abend hatte sie bei einem befreundeten Bauern sehr günstig 2 Gänsekeulen gekauft, die sie zusammen mit einem Bratapfel und Maronen verspeisen würden. Der Weihnachtsbaum wurde geschmückt. Roswitha tat es heimlich, um Fabian damit zu überraschen, wenn er aus der Schule kam. Weihnachtskugeln in allen Farben, Strohsterne, Lametta, eine wuchtige Spitze, die sie mittels einer Stehleiter auf den Baum hievte, Kunstschnee; sie hatte sich mächtig ins Zeug gelegt; und Fabians Augen glänzten, als er zur Tür hereinkam. Lediglich ein Geschenk lag nicht unter dem Baum. Fabian tat tapfer und wollte sich die kleine Traurigkeit, die sich in seinen Blick geschlichen hatte, nicht anmerken lassen. Doch Roswitha war sie nicht entgangen. Schließlich kannte sie ihren Sohn.
Am 23. Dezember waren der letzte Schultag für Fabian und auch der letzte Arbeitstag für Roswitha. Sie war erschöpft und ging bereits sehr früh zu Bett, da sie am nächsten Tage früh aus den Federn wollte.
Kapitel 3 – Es ist soweit
Roswitha erwachte und blinzelte die Müdigkeit davon. Es war schon hell. Mühsam erhob sie sich aus dem Bett, dass die Federn knarrten. Sie streckte sich und schritt zum Fenster. Sie traute ihren Augen nicht. Das war unglaublich. Draußen war alles weiß. Dicke Flocken rieselten ganz langsam vom Himmel herab – wie Watte so leicht. Der ganze Garten war über und über mit Schnee bedeckt. Aufgeregt zog sie den Pyjama aus und glitt in ihre Jeans. Wo war der Pulli? Schnell schlüpfte sie in die Hausschuhe und ging, so wie sie war, vor die Tür. Es war unfassbar. Der Schnee bedeckte nicht nur gerade mal so den Rasen – nein – das waren bereits viele Zentimeter, und man sah keinen Grashalm mehr. Es musste die ganze Nacht hindurch geschneit haben, vielleicht sogar schon seit gestern Abend. Hoffnung schlich sich in ihr Herz. Das war ihre Chance, und die würde sie zu nutzen wissen.
Leise schaute sie in Fabians Zimmer – er schlief noch. Perfekt. Schnell schlich sie in den Keller. Ihre Augen suchten nach dem Schlitten und den alten Skiern. Da waren sie. Einige Kisten standen auf dem Holzschlitten, und schnell stapelte sie sie an der Wand. Wo waren bloß die Skischuhe? Als Kind war Roswitha viel Ski gefahren, und wenn sie Glück hatte, fand sie noch ihre alten Schuhe, die sie als kleines Mädchen beim Skifahren getragen hatte. Sie könnten in der richtigen Größe sein. Als sie älter wurde, hatte sie damals noch eine neue Ausrüstung von ihrem Mann geschenkt bekommen, doch seit Jahren stand sie ungenutzt im hintersten Winkel des Kellers. Nach ein paar Minuten hatte sie eine komplette Ausrüstung mit Stöcken für sich und eine weitere, die hoffentlich Fabian passen würde, beisammen. Auch der Schlitten stand bereit. In der Küche hatte sie noch ein großes Stück Speck. Sie packte es und lief wieder zurück in den Keller. Dann schnitt sie den Speck in drei Streifen und rieb damit die Kufen des Schlittens und anschließend die Skier ein. Fabian würde Augen machen.
Dann ging sie in die Küche. Sie schnitt das Brot in Scheiben, machte eine große Tasse heißen Kakao für Fabian, briet Eier in der Pfanne, holte Wurst aus der Speisekammer, viertelte Tomaten und schnitt Käse. Für sich selbst machte sie eine Tasse Kaffee. Anschließend ging sie in Fabians Zimmer, gab ihm einen Kuss und weckte ihn. Er wusste gar nicht recht, wie ihm geschah, setzte sich an den Küchentisch und wunderte sich über den leckeren Kakao, den er sonst nie bekam. Fabian und Roswitha ließen sich das Frühstück schmecken. Bei einem Blick aus dem Fenster wurden seine Augen ganz groß.
>>Boahh. Mama, draußen ist alles weiß!<<
>>Ja, ich weiß, mein Schatz; und deswegen zieh Dich nun an. Wir wollen Schlitten- und Skifahren gehen.<<
>>Cool!>>, fand Fabian, und sein Gesicht strahlte mit den durchs Fenster fallenden Sonnenstrahlen um die Wette.
Roswitha legte ihm eine Thermohose, eine dicke Jacke und einen Strickpullover parat. Als sie fertig waren, bekam er die rechtzeitig fertigen Wollhandschuhe, noch eine Bommelmütze auf den Kopf und einen Schal verpasst, und es konnte losgehen. Mit dem Bus fuhren sie 5 Minuten bis zum Stadtrand. Hier befand sich ein großer Hügel mit Wald und einer Wiese. Die voluminösen Flocken rieselten und rieselten und lagen sogar auf den Ästen der Fichten schon einige Zentimeter hoch. Viele Kinder und auch Erwachsene waren bereits hier und sausten den Hang hinunter. Roswitha sah ein befreundetes Ehepaar. Es verkaufte Glühwein an die Erwachsenen. Ihnen gab sie die Skier, damit sie auf sie aufpassen würden. Plötzlich hatte sie ganz umsonst einen Glühwein in die Hand gedrückt bekommen. Das war aber nett. Heute schienen alle besonders herzlich zueinander zu sein.
Dann liefen Roswitha und Fabian Hand in Hand den Hügel hinauf. Roswitha nahm auf dem Schlitten Platz, Fabian setzte sich davor, die Schuhe auf den Kufen und ganz ohne Angst. Die Mützen wurden tief ins Gesicht gezogen, und Roswitha stieß den Schlitten mit einem kräftigen Tritt ab. Der Speck hatte die Kufen richtig schnell gemacht, und es dauerte nicht lang, da hatten sie schon ein ordentliches Tempo drauf. Roswitha dachte an die alten Zeiten und lenkte geschickt der Piste hinab; sie wichen Gestürzten aus und näherte sich einer kleinen Erhebung. Mit voller Wucht sausten sie darüber hinweg und waren komplett in der Luft. Fabian schrie. Sie düsten ins Tal und bremsten schließlich mit den Füßen. Fabian machte es seiner Mutter nach.
>>Das war ja cool!>>, befand der Sechsjährige und hatte ganz rote Backen.
>>Bitte nochmal!<<
>>Wenn Du willst! Dann komm.<<
Wieder und wieder erklommen sie den Hügel. Einmal fiel Roswitha sogar während der rasanten Fahrt hintenüber, und Fabian lachte.
Dann tauschten sie den Schlitten gegen die Skier. Die Schuhe passten Fabian wie angegossen. Oben angekommen, war Fabian etwas mulmig zumute, und seine Beine zitterten etwas. Roswitha stand auf ihren Skiern und ging in die Hocke, zeigte Fabian, wie er auf den Skiern zu stehen hatte, erklärte ihm, wie er lenkte, seine Stöcke einzusetzen hatte und schließlich den Schneepflug.
>>Fang‘ aber bitte ganz langsam an! Wir fahren zuerst nur ein Stückchen und halten dann wieder an.<<
>>Ich versuch’s, Mama! Und wenn ich trotzdem stürze?<<
>>Hab‘ keine Angst! Es ist nicht schlimm, wenn Du stürzt. Jeder fällt mal hin. Dann steht man wieder auf und macht weiter!<<
Fabian stand zuerst sehr wackelig auf den Beinen, wirkte sehr unsicher und fuhr ständig im Schneepflug, um nicht zu viel Geschwindigkeit aufzunehmen. Er schaute seiner Mutter zu, die in regelmäßigen Kurven die Piste hinunterfuhr. Sie hatte wohl nichts verlernt. Mit der Zeit gewann Fabian an Mut und erwies sich als echtes Naturtalent. Er lernte schnell und fuhr nun deutlich rasanter und konnte auch bereits kleinere Lenkmanöver. Dreimal war er hingefallen, doch machte ihm das gar nichts aus. Am Ende traute Roswitha ihren Augen nicht, als sie sah, wie Fabian der Piste hinabschoss, der Schal flatterte nur so hinter ihm her. Der Junge war mutig und hatte sichtlich Spaß. So etwas Tolles hatte er noch nie gemacht.
Am frühen Nachmittag machten sie sich auf den Heimweg, legten die Mützen und Schals zum Trocknen auf die Heizung, und Roswitha bereitete schon einmal das Abendessen vor. Die Gänsekeulen kamen zum Schmoren in den Topf, und Fabian half gut gelaunt beim Tischdecken.
Plötzlich sagte die Mutter:
<<Komm, wir bauen einen Schneemann!<< Sie zogen die mittlerweile trockenen Mützen und Schals wieder an und gingen in den Garten. Die Flocken fielen so dicht, dass die Sichtweite nicht besonders groß war. Roswitha formte einen großen Schneeball und zeigte Fabian, wie er durch das Rollen im Schnee immer größer und größer wurde, bis er den Unterleib des Schneemannes ergab. Fabian grinste, und als auch er einen Schneeball formte, bekam er plötzlich von hinten einen Ball an die Mütze. Die Schneeballschlacht begann. Sie hüpften, quiekten und sprangen durch den Garten, warfen und duckten sich, um nicht Opfer des gegnerischen Schneeballs zu werden. Roswitha reckte sich gerade hoch und bekam prompt einen Ball mitten ins Gesicht. Fabian jubilierte und reckte die Siegerfaust in die Höhe. Etwas außer Atem ließen sie sich am Schneemann nieder und formten seine Arme. Fabian rollte Schnee für den Kopf. Roswitha lief schnell in den Schuppen und holte einen Besen. Den klemmte sie dem Schneemann in die Hand. Eine lange, alte Möhre aus dem Keller diente als Nase. Fabian fand noch ein paar Kastanien in einem Karton. Zwei davon mussten als Augen herhalten. Opas alte Mütze fand auch eine neue Verwendung. Sie betrachteten ihr Kunstwerk und waren stolz.
Als das Tageslicht dann langsam schwand, wärmten sie sich in der Wohnung auf, und Roswitha traf die letzten Vorbereitungen für das Essen, holte die Gänsekeulen aus dem Topf, backte die gefüllten Bratäpfel und die Maronen. Dann ließen sie es sich schmecken. Zur Feier des Tages bekam Fabian noch einen Kakao und setze sich zufrieden unter den Weihnachtsbaum. Das war der tollste Heilige Abend, den er je erlebt hatte. Dann schlief er ein, und Roswitha trug ihn ins Bett.
Roswitha wurde durch ihre Mutter recht christlich erzogen und war es seit ihrer Kindheit gewohnt, am Heiligen Abend zu später Stunde in die Christmette zu gehen. Gegen 22.00 Uhr machte sie sich fertig, schaute noch einmal nach Fabian, der seelenruhig und fest schlief, und lief den kurzen Weg zur Kirche. Mittlerweile hatte der Schneefall ein Ende gefunden. Es war, als hätte ihr jemand den Schnee geschickt – genau zu dem Zeitpunkt, als sie ihn gebrauchen konnte – und nun, da er nicht mehr unbedingt vonnöten war, hatte es aufgehört. Die Kirche war, wie immer am Heiligen Abend, sehr gut besucht. Ein Chor unterstütze heute den Orgelspieler. Plötzlich sah sie Viktoria und Carmen, die Mütter von Rainer und Stephan, Fabians Klassenkameraden, die sie vom Elternabend her noch kannte. Mit einem kurzen Winken grüßte man sich. Nach der heiligen Messe, die heute sehr feierlich war, hatte Roswitha zu Anfang den gleichen Heimweg wie Viktoria und Carmen, die 10 Meter vor ihr liefen. Die beiden unterhielten sich:
>>Was bin ich froh, dass Heilig Abend vorbei ist<<, sagte Viktoria.
>>Heute Vormittag haben wir noch in der Hektik die letzten Geschenke gekauft. Ich hatte eigentlich nur Stress. Ab dem Nachmittag hat Rainer nur noch gequengelt, wie langweilig es wäre und ständig gefragt, wann es denn endlich die Geschenke gäbe. Irgendwann haben wir es nicht mehr ausgehalten und die Bescherung früher stattfinden lassen als sonst. Wir haben ihm ein Mountainbike geschenkt. Sündhaft teuer! Dann packt er es aus, setzt sich einmal kurz drauf und lässt es den ganzen Abend unbeachtet in der Ecke stehen. Dann geht er auf sein Zimmer an seinen Computer, spielt den Rest des Abends und wir sehen ihn nicht mehr. Manchmal frage ich mich, warum wir uns überhaupt so anstrengen und ihm ein solch teures Geschenk machen!<<
>>Das kenne ich ganz genauso<<, antwortete Carmen.
>>Stephan bekommt von uns einen riesigen Fernseher, wie ihn doch alle heute haben. Doch hören wir einmal ein „Danke“ von ihm? Sehen wir ihn deswegen ein einziges Mal lächeln? Er ist undankbar. Ich frage mich nur, was wir falsch machen.<<
Mehr brauchte Roswitha nicht zu hören. Sie hatte alles richtig gemacht. Mit ihren einfachen Mitteln hatte sie Fabian den ganzen Tag zum Strahlen gebracht. Sie war eine glückliche Mutter.