Aus der FAZ am Sonntag vom 4.9.2005:
Messer, Gabel, Stuhl und Bild: Der Hafen von Triest beherbergt Zeugnisse einer Vertreibung
Hausrat und Möbel, Fischernetze und Werkzeugkästen, Vogelkäfige und Schulhefte, Madonnenstatuen und sogar eine Wagner-Büste: in einem Lagerhaus im theresianischen Freihafen von Triest stapeln sich 18000 Kubikmeter Hinterlassenschaft einer untergegangenen Kultur - jener der Italiener aus Istrien, die nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem kommunistischen Terror flüchteten.
Als die Hafenstadt Pola im Februar 1947 unter alliierter Aufsicht von den Italienern geräumt wurde, blieb eine fast menschenleere Stadt zurück, denn 30000 der 34000 Einwohner der Stadt hatten sich für den Abschied entschieden. In der kommunistischen Propaganda war von einem großen Sieg über die Klasse der Ausbeuter und Volksfeinde die Rede. Als junger Journalist erlebte Indro Montanelli den Exodus, er beschrieb die wackeligen Kommoden, die alten Stühle und die verschnürten Koffer, die die Italiener auf die Leiterwagen luden: "95 Prozent dieser Exilanten sind arme Teufel, und ihre Habe zeugt von ihrem Elend." Wie aus Pola flüchteten Italiener aus Zara und aus Fiume, aus Rovigno, Parenzo und Capodistria, aus Städten und Dörfern, die heute nur noch unter ihren kroatischen und slowenischen Namen auf den Landkarten verzeichnet sind. Bauern, Handwerker und Fischer, die mit ihrer Arbeit ihre Familien ernährt hatten, waren plötzlich herausgerissen aus ihrem Lebenszusammenhang. Arbeitslos und mit den Familien auf kleinstem Raum zusammengepfercht, verbrachten sie meist viele Jahre in Flüchtlingslagern und litten unter ihrer Abhängigkeit von fremder Hilfe. Ihren beweglichen Besitz hatten die "esuli" aus ihrer von Jugoslawien annektierten Heimat zwar mitnehmen dürfen, aber in den überfüllten Flüchtlingslagern war dafür kein Platz.
Viele von ihnen leben nun in Amerika und in Australien, zurückgeblieben ist ihre Habe, die einen einzigartigen Querschnitt durch die materielle Alltagskultur der italienischen Dörfer und Städte Istriens darstellt. Im ehemaligen Auffanglager Padriciano, einem Dorf im Karst, dokumentiert eine Ausstellung den Verlauf dieser "ethnischen Säuberung". In Triest ist indes ein Museum der Kultur der Italiener aus Istrien und Dalmatien in Vorbereitung, das einen Teil der Hinterlassenschaft der Flüchtlinge aufnehmen soll. Die Arbeiten sollen im Oktober beginnen. Und ein amerikanischer Anwalt, Sohn italienischer Einwanderer, hat in Triest eine Kanzlei eröffnet, die sich für die Entschädigung der "esuli" durch die italienische Regierung stark macht. kps.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 04.09.2005, Nr. 35 / Seite 11
Messer, Gabel, Stuhl und Bild: Der Hafen von Triest beherbergt Zeugnisse einer Vertreibung
Hausrat und Möbel, Fischernetze und Werkzeugkästen, Vogelkäfige und Schulhefte, Madonnenstatuen und sogar eine Wagner-Büste: in einem Lagerhaus im theresianischen Freihafen von Triest stapeln sich 18000 Kubikmeter Hinterlassenschaft einer untergegangenen Kultur - jener der Italiener aus Istrien, die nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem kommunistischen Terror flüchteten.
Als die Hafenstadt Pola im Februar 1947 unter alliierter Aufsicht von den Italienern geräumt wurde, blieb eine fast menschenleere Stadt zurück, denn 30000 der 34000 Einwohner der Stadt hatten sich für den Abschied entschieden. In der kommunistischen Propaganda war von einem großen Sieg über die Klasse der Ausbeuter und Volksfeinde die Rede. Als junger Journalist erlebte Indro Montanelli den Exodus, er beschrieb die wackeligen Kommoden, die alten Stühle und die verschnürten Koffer, die die Italiener auf die Leiterwagen luden: "95 Prozent dieser Exilanten sind arme Teufel, und ihre Habe zeugt von ihrem Elend." Wie aus Pola flüchteten Italiener aus Zara und aus Fiume, aus Rovigno, Parenzo und Capodistria, aus Städten und Dörfern, die heute nur noch unter ihren kroatischen und slowenischen Namen auf den Landkarten verzeichnet sind. Bauern, Handwerker und Fischer, die mit ihrer Arbeit ihre Familien ernährt hatten, waren plötzlich herausgerissen aus ihrem Lebenszusammenhang. Arbeitslos und mit den Familien auf kleinstem Raum zusammengepfercht, verbrachten sie meist viele Jahre in Flüchtlingslagern und litten unter ihrer Abhängigkeit von fremder Hilfe. Ihren beweglichen Besitz hatten die "esuli" aus ihrer von Jugoslawien annektierten Heimat zwar mitnehmen dürfen, aber in den überfüllten Flüchtlingslagern war dafür kein Platz.
Viele von ihnen leben nun in Amerika und in Australien, zurückgeblieben ist ihre Habe, die einen einzigartigen Querschnitt durch die materielle Alltagskultur der italienischen Dörfer und Städte Istriens darstellt. Im ehemaligen Auffanglager Padriciano, einem Dorf im Karst, dokumentiert eine Ausstellung den Verlauf dieser "ethnischen Säuberung". In Triest ist indes ein Museum der Kultur der Italiener aus Istrien und Dalmatien in Vorbereitung, das einen Teil der Hinterlassenschaft der Flüchtlinge aufnehmen soll. Die Arbeiten sollen im Oktober beginnen. Und ein amerikanischer Anwalt, Sohn italienischer Einwanderer, hat in Triest eine Kanzlei eröffnet, die sich für die Entschädigung der "esuli" durch die italienische Regierung stark macht. kps.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 04.09.2005, Nr. 35 / Seite 11