Langes Haar, weißer Bart
Karadzics geniale Tarnung
Er war wohl kaum wiederzuerkennen: Der nach mehr als 12 Jahren festgenommene frühere bosnische Serbenführer Radovan Karadzic hatte sich nach Angaben der serbischen Behörden fast perfekt getarnt. Sein Äußeres hatte er mit langem weißen Haar und einem weißen Vollbart sowie einer Brille von Grund auf verändert. Der für die Zusammenarbeit mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zuständige serbische Minister Rasim Ljajic zeigte auf einer Pressekonferenz in Belgrad ein Foto zum Beweis, das Karadzic mit langem Haar und dunkler Kleidung zeigt.
Zuletzt habe Karadzic demnach in einer privaten Arztpraxis in Belgrad gearbeitet. Er habe sich mit "alternativer Medizin" beschäftigt und sei wegen seiner Tarnung nicht entdeckt worden, sagte Ljajic. Der Gesuchte habe einen gefälschten Personalausweis auf den Namen Dragan Dabic besessen.
Eigentlich Mladic gejagt
Zur Festnahme sagte der Staatsanwalt für Kriegsverbrechen, Vladimir Vukcevic, Karadzic sei am Montagabend "in der Umgebung von Belgrad" verhaftet worden. Die Enttarnung Karadzics sei im Zuge der Suche nach dem ebenfalls flüchtigen mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic möglich geworden. Polizei und Geheimdienste hätten die Helfershelfer von Mladic observiert und seien auf Karadzic gestoßen. Die Spezialkräfte der Geheimdienste hätten zugegriffen, als sich Karadzic von einem Unterschlupf zu einem neuen Versteck begeben wollte.
Anwalt erhebt Einspruch
Der 63-Jährige, dem vom UN-Kriegsverbrechertribunal "Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit" vorgeworfen werden, schweigt den Angaben der Behörden zufolge bislang zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen. Karadzic soll die vielen Verbrechen der Serben im Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina (1992-1995) geplant und organisiert haben. Er habe bei seiner ersten Vernehmung durch einen serbischen Staatsanwalt das Verfahren gegen ihn als "Farce" bezeichnet, sagte sein Anwalt Svetozar Vujacic. Der früher korpulente Mann sei abgemagert und verweigere die angebotene Nahrung. Ein Gerichtsmediziner habe Karadzic noch in der Nacht untersucht und ihm eine stabile gesundheitliche Verfassung bescheinigt.
Der Anwalt wird gegen die Auslieferung seines Mandanten an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag Einspruch einlegen. Er hat drei Tage Zeit, gegen die Auslieferung Widerspruch einzulegen. Über den muss dann ein Gerichtsgremium ebenfalls innerhalb von drei Tagen entscheiden. Das letzte Wort hat jedoch das serbische Justizministerium.
Zeitpunkt der Festnahme unklar
Die genauen Hintergründe der Festnahme sind noch unklar. Karadzic behauptet seinem Anwalt zufolge, er sei bereits am Freitag festgenommen worden. Man habe ihn aus einem Linienbus geholt, der zwischen Neu-Belgrad und der nahe gelegenen Gemeinde Batajnica verkehrt. Ihm sei eine Kappe übers Gesicht gezogen worden, so dass er die Umstände seiner Verhaftung nicht kenne. Seitdem sei er "in einem Raum" festgehalten worden. Der Untersuchungsrichter will diesen Behauptungen nachgehen.
Hupkonzerte in Sarajevo
In der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina, Sarajevo, feierten Hunderte von Menschen mit Hupkonzerten die Neuigkeit. In der nahe gelegenen früheren Karadzic-Hochburg Pale blieb es dagegen ruhig. Im Zentrum Belgrads verstärkte die Polizei nach Mitternacht ihre Streifen und stellte zusätzliche Kräfte für die Bewachung der Botschaften in der Hauptstadt ab.
Weltweit stieß die Verhaftung des meistgesuchten Angeklagten des UN-Tribunals auf positive Reaktionen. Der französische Präsident Nikolas Sarkozy und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon lobten die Festsetzung von Karadzic ebenso wie EU-Spitzenpolitiker und der belgische Chefankläger des Tribunals, Serge Brammertz. Es handele sich um einen "Meilenstein" bei der Aufarbeitung der Bürgerkriege auf dem Balkan in den 90er Jahren, betonte Brammertz in einer Stellungnahme.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Festnahme des ehemaligen bosnischen Serbenführers als gute Nachricht für die gesamte Balkan-Region begrüßt. "Dies ist ein historischer Augenblick. Die Opfer dürfen wissen: Massive Menschenrechtsverletzungen bleiben nicht ungestraft." Dem jugoslawischen Präsidenten Boris Tadic bescheinigte Merkel, mit "diesem mutigen Schritt die europäische Berufung Serbiens unterstrichen" zu haben.
Fünf Millionen Dollar Belohnung
Karadzic war seit Mitte der 90er Jahre auf der Flucht. 1996 war er zum letzten Mal in Bosnien gesehen worden. Nach Darstellung des UN-Tribunals ist der Psychiater wie sein Militärkommandant Ratko Mladic von Helfershelfern in der serbischen Armee, Politik und im Geheimdienst gedeckt worden. Die USA hatten 1998 eine Belohnung von fünf Millionen Dollar für die Ergreifung des meist gesuchten Serben ausgelobt. Die in diesem Jahr gestürzte Regierung des nationalkonservativen Vojislav Kostunica soll eine Verhaftung von Karadzic verhindert haben, lauteten die Vorwürfe des Tribunals weiter. Karadzic wird von großen Teilen der serbischen Bevölkerung immer noch als Volksheld angesehen.
Quelle:
http://www.n-tv.de/Langes_Haar_weisser_Bart_Karadzics_geniale_Tarnung/220720082506/997330.html