Damit ihr auch wisst wie wichtig das Allgäu schon frühgeschichtlich war - hier ein Bericht der Südwestpresse von morgen :
07.11.2019 SÜDWESTUMSCHAU
Allgäu als die Wiege der
Menschheit?
Nach neuen Erkenntnissen von
Tübinger Fossilienforschern konnten
europäische Primaten
schon lange vor afrikanischen aufrecht gehen
Von Jens Schmitz
Der Weg des Menschen begann nicht in Afrika,
sondern in Europa - diese These vertreten
Tübinger Wissenschaftler nach Fossilienfunden
in Bayern. Aus einer bisher unbekannten Primatenart
leiten sie ab, dass sowohl die gemeinsamen Vorfahren
von Affen und Menschen als auch der aufrechte Gang
sich viel früher entwickelt haben als bisher gedacht -
und zwar nördlich der Alpen.
Der Wagen, den ein behandschuhter Helfer in den
Stratigraphischen Saal der Uni Tübingen schiebt, enthält
Knochen, die ein Weltbild ins Wanken bringen. ,,Liebe
Anwesende, ich möchte Ihnen heute Danuvius
guggenmosi präsentieren", sagt Professorin Madelaine
Böhme vom Senckenberg Centre for Human Evolution
and Paleoenvironment.
37 Knochenteile einer bislang unbekannten Primatenart
hat ihr Team aus einer Tongrube im Allgäu geborgen; 21
davon stammen vom selben männlichen Tier. Es wurde
auf den Namen Udo getauft - nach Udo Lindenberg,
dessen Lieder am Tag der Entdeckung aus Anlass von
Lindenbergs 70stem Geburtstag ständig im Radio liefen
Der Allgäuer Udo ist allerdings sehr viel älter: Sein
Skelett wurde auf I11,62 Millionen Jahren datiert. Er war
etwa einen Meter groß, wog 31 Kilogramm und ähnelte
einem Bonobo. Mit seiner großen Zehe am Fuß konnte er
besser greifen als alle bekannten Menschenaffen - und
war dennoch in der Lage, aufrecht zu gehen. Tatsächlich
lässt die Kniekonstruktion sogar darauf schließen, dass
er den aufrechten Stand bevorzugte.
Aus Sicht der Wissenschaft ist das eine Sensation: Die
bislang ältesten Belege für den aufrechten Gang sind
sechs Millionen Jahre alt und stammen aus Kenia und
von der Insel Kreta. Aus Analysen von Wirbelsäule,
Armen, Füßen und anderen Körperteilen folgern die
Forscher nun, dass sich der aufrechte Gang vor doppelt
so langer Zeit auf Bäumen entwickelt hat - ohne
Zuhilfenahme der Arme
Die Möglichkeit, dass es ihn in Afrika zur selben Zeit
oder früher schon gegeben haben könnte, halte sie für
ausgeschlossen, sagt Böhme. Aus dieser Zeit seien dort
nur primitive Affenformen bekannt. An der Studie
waren auch Wissenschaftler aus Bulgarien, Kanada und
den USA beteiligt
Wo genau die neue Art einmal eingruppiert werden wird,
ist noch offen. Ihre Entdeckung stellt allerdings nicht
nur die These in Frage, dass die Wiege der Menschheit in
Afrika stand, sondern auch die Vorstellung, die
Entwicklung des Menschen bestehe quasi in einer
linearen Erhebung des Affen.
Die neuen Erkenntnisse lassen es denkbar erscheinen,
dass Menschenaffen und Homo Sapiens einen
europäischen Vorfahren hatten, der aufrecht gehen
konnte, dass aber die Menschenaffen diese Fähigkeit
zugunsten größerer Beweglichkeit in den Bäumen
wieder aufgaben. Die Forscher fühlen sich darin durch
die Untersuchung eines zehn Millionen Jahre alten
Beckenknochens aus Ungarn bestärkt. Auch
Werkzeugfunde in Asien haben die ,Out of Africa"-
Theorie erschüttert.
Danuvius guggenmosi könnte der letzte gemeinsame
Vorfahre von Menschenaffen und Menschen ganz
allgemein sein oder - spezieller -von Schimpansen und
Menschen. ,In diesen Fällen ist er jeweils ein Missing
Link zwischen Menschen und Menschenaffen", sagte
Böhme. ,,Er könnte aber auch ein früher Mensch sein.
Einige Knochen ähnelten mehr Menschen als Affen.
Insgesamt sei aber der aufrechte Gang das
wahrscheinlich einzige charakterisierende Merkmal der
Menschlichkeit.
Die Fossilien von Danuvius Guggenmosi stammen aus
der Tongrube Hammerschmiede in Pforzen im
Ostallgäu; sie wurden zwischen 2015 und 2018 gefunden.
Erste Fossilien hatte der inzwischen gestorbene
Hobbyarchäologie Sigulf Guggenmos dort bereits 1972
entdeckt nach ihm ist die neue Primatenart nun
benannt. Die Funde zu Danuvius wurden bislang
mindestens vier Individuen zugeordnet; Böhme ist
sicher, dass von der Art noch mehr Knochen auftauchen
Die Forschungsergebnisse sind in der aktuellen
Ausgabe des Magazins Nature publiziert und in
einem neuen, auch für Laien gut lesbaren Buch
berücksichtigt: Madelaine Böhme u.a.: Wie wir
Menschen wurden. Eine kriminalistische
Spurensuche nach den Ursprüngen der
Menschheit. Wilhelm Heyne Verlag, Stuttgart
2019. 336 Seiten, 22 Euro