Ich kopiere hier mal Auszüge aus einem persönlichen Brief:
"Die Plenums sind ausser den täglichen Protesten in mehreren Städten in Bosnien und Herzegowina, also auch in Banja Luka und auch in Mostar, die sichtbarste Art und Weise, wie die BürgerInnen ihren Widerstand zeigen. Noch immer, 2 Wochen seit dem Beginn der Proteste, ist die friedliche humorvolle Atmosphaere unter den Menschen vorhanden. Sie ist an vielen Einzelheiten erkennbar. So hat ein junger Mann sich in die Reihe von Polizisten gestellt. Die Polizisten mit Schutzschildern ausgerüstet, er zwischen ihnen mit dem handgezeichneten Herz auf dem A 5-Blatt in der Hand, das er vor sich hält. Oder eine junge Frau, die gefragt wurde, warum sie weint. Sie antwortet, sie weine, da sie gesehen habe, wie auch ein Polizist geweint hat.
Die Demonstrierenden tragen und verteilen gelbe Streifen. Es ist ihr Zeichen, dass alle gleich sind. Es ist ein Versuch, sich gegen die nationalpolitische Interpretation der Proteste zu wehren. Eine andere Art ist, alle drei Fahnen (die bosnische gelb/blaue, kroatische mit weissroten Quadraten und die serbische mit vier C) zusammengebunden zu tragen.
Die Plenums können wir per Internet verfolgen. Es sind bis mehr als 2 Stunden dauernde Sitzungen, an denen hunderte BürgerInnen teilnehmen. Es sind einige der wenigen Orte in der ganzen Region, an denen die Teilnehmenden mit Bürger und Bürgerinnen, also in beiden Geschlechtern angesprochen werden. Diese gendersensible Art zu reden gilt auch fuer andere Orte, wo die Demonstrierenden sich melden. Es ist ein Indikator von der Struktur der Bevoelkerung, die bis jetzt in den Widerstandsgruppen das Sagen haben. Es ist m. E. wichtig zu notieren, denn oft ist Gendersensibilisiertsein eine der ersten Sache, die nach der Revolution schnell in Vergessenheit geraet.
Die Prinzipien des Plenums sind: Gleichberechtigung, Solidaritaet und Gewaltfreiheit. Wieder sind also Plenums einer der sonderbaren Orte in der Region, an denen ausdrücklich Gewaltfreiheit gefördert, verlangt wird. Plenums arbeiten in Arbeitsgruppen (Zwischenstaedtische Kooperation, Medien, Juristische Fragen, Redaktion der Buergerbeschwerden/ Anfragen an die Regierung, Protestorganisation). Solche Organisation im Modell der direkten Demokratie kennen wir aus den vergangenen Studentenprotesten in Kroatien. Diese Organisation funktioniert auf dem Balkan, trotz des Misstrauens, das am lautesten von den Medien (Journalisten, Philosophen) und aus den politischen Parteien geaeussert wird. Die Zeitungsartikel sind nicht einseitig, aber m.E. ist die Sensibilitaet fuer den friedlichen, gewaltfreien Widerstand bei den Meinungsbildnern in den Medien schwach. Ausser den nationalistischen Spins sind hier jene, die eine Entschlossenheit in Form der Gewalt befuerworten. Denn, so ihre Argumentation, es sei „die einzige Sprache, die die politische Oligarchie versteht“. Solche Gewaltunterstützung macht mir Sorgen, ihre Analysen sind gefährlich und ich finde, man soll wie immer man kann, die gewaltfreie Art und friedliche Widerstandsformen unterstützen. Diese Bitte richte ich auch an Dich/Euch.
Es waere so schade, die friedliche Bewegung in Bosnien durch so m.E. unverantwortliches Benehmen zu verhindern. Hier scheint mir, dass die Radikalisierung von der linken wie auch rechten Seite droht. Das heisst, dass auch diejenigen, die in den 90er Jahren sich gegen den Krieg einsetzten und heute fuer die Menschenrechte eintreten, sich verlaufen und fuer die Methode der Gewalt eintreten. Es ist eine Gefahr, denn die Leute in Sarajevo sind muede und fuer schnelle Endloesungen leicht empfänglich. Ich bin traurig, wenn ich von meinen FreundInnen hoere, wie sie auch nah an der Zerstoerungsloesung sind. Von meiner Seite sind es meistens die patriarchalen Macho-Modelle (die Artikel werden vorwiegend von Männern im Diskurs starker Polemik, Ironie, Anschuldigungen geschrieben). Ich bin besorgt, denn dieser Diskurs ist Kriegssprache, schwach an Dialogannaeherung, ohne Empathie, aber mit viel Schwarz-Weiss Malerei, in der immer wir die Guten bleiben.
Die Verlierer, die Opfer von Gewalt werden nicht die starkmäuligen Schreiber sein, sondern immer die einfachen Menschen auf den Strassen. Aber heute ist es nicht einfach von hier aus den Menschen zu zeigen, dass am Ende die Gewinner der Gewalt immer die Machthaber sind.
Mit diesem Brief will ich Dich / Euch wach halten fuer etwas Wunderbares, was in Bosnien und Herzegowina passiert. Es ist der aufrichtiger Gang dieser Menschen, die unter der Missstaenden seit dem Krieg gelitten haben. Wenn du willst, kannst du sie dabei unterstützen, nicht zur Gewalt zu greifen.
Ich glaube, es ist wichtig, dass sie sich nicht allein fuehlen. Und es ist wichtig, so erinnere ich mich an die Kriegszeit, dass die Umgebung die Gewalt nicht billigt. Zuhoeren und Empathie zeigen ist fuer mein Verstaendnis der erste Schritt, um Respekt zu zeigen. Dann aber kann die klare gewaltfreie Position hilfreich sein, fuer die Zukunft, die Bosnien und Herzegowina verdient."