AW: Fußball-Smalltalk
"Die Realität ist kein Computerspiel"
VfB-Manager Heldt über Pawel Pogrebnjak, den durchgedrehten Transfermarkt und die Schwierigkeit, die Gomez-Millionen auszugeben
SZ: Herr Heldt, Sie haben mal gesagt, dass es in diesem Sommer sicher Spaß mache, Manager des VfB Stuttgart zu sein: Man habe entweder die Gewissheit, dass Mario Gomez bleibt - falls nicht, habe man wenigstens so viel Geld einge-nommen, dass man auf dem Transfermarkt offensiv agieren könne. Haben Ihnen die letzten Wochen Spaß gemacht?
Heldt: Nicht wirklich. Oft bin ich mit den Gedanken an die Stürmersuche eingeschlafen, und beim Aufwachen hab ich als Erstes gedacht: Kommt der Huntelaar jetzt oder nicht? Für meine Frau waren diese Wochen sicherlich auch kein Spaß - seit Mai habe ich irgendwie in einer Parallelwelt gelebt, in der es nur Stürmernamen gab.
SZ: Nun, da Sie Pawel Pogrebnjak von Zenit St. Petersburg verpflichtet haben, können Sie"s ja sagen: Wie viele Stürmern haben Sie denn kontaktiert?
Heldt: Es waren knapp 20, die ich jetzt aber nicht alle aufzählen kann.
SZ: Probieren Sie"s doch mal: Helmes, Ba, Huntelaar, Vagner Love . . .
Heldt: Ein paar Namen standen ja schon in den Zeitungen, Pawljutschenko von Tottenham, Mboekani von Standard Lüttich oder Negredo von Real Madrid. Aber es gab auch andere: die Brasilianer Nilmar und Ricardo Oliveira oder den Mazedonier Goran Pandev von Lazio Rom, mit dem wir uns sogar einig waren.
SZ: Sie waren sich einig?
Heldt: Mit dem Spieler, aber nicht mit dem Verein. Lazio wollte 18 Millionen - für einen Spieler, dessen Vertrag 2010 ausläuft. Wir haben übrigens mit mehreren Spielern Einigung erzielt. Manchmal haben wir gewitzelt: Jetzt müssen wir aber aufpassen, dass wir nicht plötzlich sechs Stürmer auf einmal verpflichten.
SZ: Die Stürmersuche des VfB war ein prägendes Thema in der Sommerpause, und speziell Sie als Sportvorstand musten sich einiges anhören. Fan-Foren, Leserbriefschreiber und Stammtische haben ein hartes Urteil gefällt: Die Stuttgarter wissen seit Ewigkeiten, dass Gomez geht, und dann sind sie nicht vorbereitet!
Heldt: Solche Einschätzungen haben mich ziemlich geärgert. Wir hätten ja auch den einfachen Weg gehen und mit dem Gomez-Geld einfach die Konkurrenz überbieten können, bei Barrios (jetzt in Dortmund/Anm. d. Red), Bobadilla (jetzt in Mönchengladbach) oder Frei (jetzt in Basel). Aber wir wollten uns die Zeit nehmen, unter den Kandidaten den Richtigen auszuwählen. Wir haben ja nicht einfach einen Stürmer gesucht, sondern einen Nachfolger für den Weltklassespieler Gomez. Das war schon mal die erste Schwierigkeit: Wir mussten uns in einen prominenten Markt begeben, in dem der VfB noch nicht so zu Hause war.
SZ: In der Öffentlichkeit blieb der Eindruck: Die Stuttgarter, die kriegen"s einfach nicht gebacken.
Heldt: Wer sich die Mühe macht, die Einzelfälle zu prüfen, wird zu einem anderen Ergebnis kommen.
SZ: Sie meinen: Es war auch eine Menge Pech dabei.
Heldt: Auch. Eines Tages bekomme ich einen Anruf und erfahre: Patrick Helmes hat sich beim Kicken mit Kumpels das Kreuzband gerissen. Dann kam der Fall Demba Ba: Der Spieler wollte zu uns, und als wir mit Hoffenheim so weit waren, wurde die Schwere dieser Schienbeinverletzung entdeckt, die den Spieler daran gehindert hätte, mit uns die Champions-League-Qualifikation zu spielen.
SZ: War Helmes Topkandidat vor Ba?
Heldt: Wir haben immer mehrgleisig verhandelt. Es gab Tage, da habe ich mich in Frankfurt hintereinander mit Vertretern zweier unterschiedlicher Vereine getroffen und zwischendurch noch mit drei Beratern telefoniert. Deswegen ist der Vorwurf, wir seien nicht vorbereitet gewesen, komplett lächerlich. Wir hatten von Anfang an ein klares Anforderungsprofil und einen klaren Plan: Wir haben vorsondiert, Kontakte geknüpft und dann entschieden, welche Fährten wir konkreter verfolgen. Aber wissen Sie, was mich am meisten geärgert hat?
SZ: Was denn?
Heldt: Dass es manchmal hieß: Die hätten doch schon im Winter alles klarmachen können mit einem neuen Stürmer! Ja, wie hätte das denn gehen sollen? Erst nach dem letzten Spieltag, nach dem Spiel in München, hatten wir ja wirklich die Gewissheit, dass Mario geht. Ich glaube auch, dass Mario bei uns geblieben wäre, wenn wir nach diesem Spiel Zweiter gewesen wären und die Bayern Dritter.
SZ: Wann haben Sie denn mit dem Stürmer-Scouting begonnen?
Heldt: Dass es ernst werden könnte mit Marios Wechsel, wussten wir spätestens seit vergangenem Sommer, als wir den Transfer nach München verhindert haben. Von diesem Tag an haben wir uns für diesen Fall vorbereitet. Wir haben unsere Scouts auf Reisen geschickt, aber konkret auf Kandidaten und Vereine zugehen konnten wir erst, als Marios Weggang feststand. Oder hätte ich im Winter sagen sollen: Hallo Herr Huntelaar, wir sind der VfB Stuttgart, wir sind in der Liga zwar nur Elfter und wir wissen auch gar nicht, ob wir im Sommer überhaupt Bedarf und Geld haben, aber wollen Sie nicht mal vorbeikommen?
SZ: So hatten Sie das Pech, in diesem Sommer in einen völlig überhitzten Markt hineinzugeraten.
Heldt: Zwei Transfers wie die von Cristiano Ronaldo und Kaka reichen ja aus, damit der Markt völlig durchdreht. Der Wahnsinn wird von oben nach unten durchgereicht. Die Vereinschefs denken dann: Wenn die Topspieler 80, 90 Millionen wert sind, dann ist mein Durchschnittsspieler nicht fünf, sondern mindestens 15 Millionen wert - erst recht, wenn da ein Klub wie wir kommt, der gerade viel Geld für Gomez kassiert hat. Die Realität ist eben kein Managerspiel im Internet: Beim Computerspiel reicht es, die Kumpels aus der eigenen Liga zu überbieten, aber da sitzen keine Klubchefs und keine fünf Berater am Tisch. Mir sind in den letzten Wochen alle Formen des Wahnsinns begegnet: Mal hatte der Verein unfassbare Vorstellungen, mal der Spieler, mal die Berater.
SZ: So dass Sie am Ende gezwungen waren, im Fall Huntelaar auszusteigen.
Heldt: Das war die kurioseste Geschichte von allen. Über die finanziellen Rahmenbedingungen haben wir mit dem Spieler recht schnell Einigung erzielt, auch weil Real Madrid sich anfangs am Gehalt beteiligt hätte. Alle Zeichen waren eindeutig. Und sein Berater hat klar signalisiert: Wenn der Spieler sich für uns entschieden hat, dauert es bis zur Vertragsunterzeichnung nur zehn Minuten.
SZ: Und dann?
Heldt: Dann haben wir uns gefreut wie die Schneekönige, als Huntelaar bei Markus Babbel anrief und ihm zusagte.
SZ: Woran ist es dann gescheitert?
Heldt: An verletzter Eitelkeit. Huntelaar war sauer auf Real, die ihn erst im Winter für 27 Millionen verpflichtet haben und jetzt wieder loswerden wollten. Er wollte die bluten lassen und hat etwa fünf Millionen Euro Abfindung gefordert. Sein Ärger ist ja nachvollziehbar, aber eben nicht sehr sinnvoll. Real wollte noch schlichten, aber er ist zu diesem Termin gar nicht mehr erschienen. Präsident Perez und Sportdirektor Valdano haben nur den Kopf geschüttelt. In so einer Situation hätte ich schon erwartet, dass ein Berater zu seinem Spieler sagt: Junge, einige dich, denk an deine Zukunft! Wir haben dann eine Frist gesetzt und die Sache danach beendet.
SZ: Jetzt wechselt Huntelaar zum AC Mailand. War die Bundesliga vielleicht einfach unter seiner Würde?
Heldt: Eigentlich hatte er uns klar gesagt, dass er im Moment gerade nicht zu einem Topverein wie Chelsea, Manchester oder Milan will. Er braucht ja einen Stammplatz im Verein, um nächstes Jahr bei der WM zu spielen.
SZ: Müssten Sie Huntelaar nachträglich nicht dankbar sein? Wenn Sie ihn gekauft hätten, hätten Sie kein Geld mehr für Aliaksandr Hleb gehabt.
Heldt: Wir haben parallel auch immer nach einem Mittelfeldspieler gesucht und die ganze Zeit mit Alex Hleb Kontakt gehalten, aber das Paket Huntelaar plus Hleb wäre in der Tat kaum zu stemmen gewesen. Aber jetzt sind wir schon ein wenig stolz, dass wir in dieser Personalie Inter Mailand ausstechen konnten.
SZ: Wann ist Pawel Pogrebnjak auf die Liste gerückt?
Heldt: Mit dem Namen beschäftigen wir uns schon länger. Schon als wir vor einem Jahr im UI-Cup in Ramenskoje spielten, haben wir uns in Russland umgehört und erfahren, dass der Spieler das Land im Moment nicht verlassen möchte. Allmählich hat sich dann aber herumgesprochen, dass nach Arschawin und Timoschtschuk auch der dritte Petersburger Star in den Westen will, und irgendwann hat Petersburg auch erkannt, dass man nur noch in diesem Sommer eine Ablöse kassieren kann. Sie sind sehr spät mit ihm auf den Markt gegangen, wir haben gleich zugegriffen.
SZ: Ist er jetzt der Spieler, der Ihnen vorschwebt?
Heldt: Unser Trainer wollte ja von Anfang an einen Targetplayer, wie er das nennt - einen präsenten Stürmer, der sich als Zielpunkt für unsere Angriffe eignet. Bis auf den kleinen Vagner Love hatten alle Kandidaten diese Eigenschaft, und Pawel hat sie besonders. Er ist groß, dynamisch und schnell und er hat vor allem international eine gute Torquote. Die erste SMS, die ich nach der Verpflichtung bekommen habe, kam von unserem Ex-Spieler Fernando Meira, der mit Pawel in St. Petersburg spielt. Er hat mir zu diesem Spieler gratuliert. Und er hat ja keinen Grund mehr, mir zu schmeicheln, ich bin ja nicht mehr sein Vorgesetzter.
SZ: Die öffentliche Meinung hat sich inzwischen komplett gedreht. Sie sind jetzt der König von Stuttgart, der den verlorenen Sohn Hleb heimgeholt hat - und die Branche feiert Sie als Widerstandskämpfer, der dem Markt die Stirn geboten und mutig gewartet hat, bis eine preisgünstige Gelegenheit kam. Lustig, oder?
Heldt: Eine solche Radikalität in den Meinungen ist nicht gesund für unsere Branche, aber ich sag"s Ihnen ganz ehrlich: Wer sich wochenlang als Vollamateur beschimpfen lassen muss, der kann mit so einem Lob gut leben.
Interview: Christof Kneer
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